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Hang Nguyễn and Andreas Dripke
Dankbarkeit und Optimismus

Wir haben allen Grund, mit Dankbarkeit und Optimismus in das neue Jahr 2023 zu blicken. Statt über überlappende Krisen zu jammern, ist es an der Zeit, uns dessen bewusst zu werden, was wir alles schon erreicht haben, und welche Chancen uns die Zukunft bietet.

Viele Menschen scheinen dem völlig falschen Eindruck zu unterliegen, dass unsere Welt immer schlechter wird. Doch in Wahrheit ist das Gegenteil der Fall, wie man sich anhand einiger weniger Beispiele veranschaulichen kann.

Wir alle besitzen ein Wundergerät

Wir alle greifen durchschnittlich 30 Mal am Tag zu unserem Smartphone. Das wäre dreißigmal ein Grund, dankbar zu sein. Noch vor weniger Generationen war es unvorstellbar, einen derart leistungsfähigen Taschencomputer immer bei uns tragen zu können. Mit Google, Wikipedia und dem mobilen Internet haben wir das Wissen der Welt ständig abrufbar im wahrsten Sinne des Wortes in der Hand. Ein Menschheitstraum ist Realität geworden. Mit dem gleichen Gerät können wir dank Messaging jederzeit und kostenlos mit unseren Liebsten überall auf der Welt in Verbindung treten. Die große Vision der Videotelefonie ist heute mit einem Wisch und einem Klick verfügbar, einfach so und ebenfalls ohne Kosten für uns. Zudem haben wir jederzeit eine hochwertige Kamera dabei: Fotos und Videos sind kostenfrei. Erinnert sich noch jemand, wie man früher Filme kaufen und gegen Geld entwickeln lassen musste? Damit nicht genug, nimmt uns das Smartphone viele Routinetätigkeiten ab oder vereinfacht sie stark, denken wir nur an Banküberweisungen, das Notieren von Telefonnummern oder das Navigieren mit dem Auto. Über die sozialen Netzwerke können wir einfacher, schneller und unzensierter als jemals zuvor unsere Meinung der ganzen Welt mitteilen; diejenigen, die das Gegenteil behaupten, zeichnen sich häufig dadurch aus, dass sie ihre Meinung besonders lautstark heraustrompeten. Das Smartphone ist im Grunde ein Wundergerät – doch wir haben uns schon so sehr daran gewöhnt, dass wir es gar nicht mehr für nötig erachten, dankbar zu sein, in einer Zeit zu leben, in der praktisch jedermann so einen Taschencomputer besitzt.

Fühlen wir uns wie Kaiser und Könige

Es ist keineswegs nur das Smartphone, das uns Anlass zu Dankbarkeit geben sollte. Machen wir uns klar: Wenn wir heute einen Supermarkt betreten, haben wir mehr Auswahl an Speisen und Getränken als jeder König oder Kaiser vor sagen wir 500 Jahren. Bevor wir über hohe Preise jammern, seien wir ehrlich: Die meisten von uns können sich heute mehr Essen und Trinken leisten als ihnen guttut. Blicken wir auf Kultur und Unterhaltung. Ein König oder Kaiser konnte sich in früheren Zeiten einen Hofkapellmeister und einen Narren zur Belustigung halten. Heute hat jedermann über Tausende von Fernseh- und Youtube-Kanäle sowie Musikdienste wie Spotify Zugang zu einem noch vor 50 Jahren unvorstellbaren Spektrum an Kulturangeboten. Und man mag die Schwierigkeiten des innerstädtischen Handels beklagen, aber es gehört auch zu den unleugbaren Tatsachen, dass das Internet im Grunde das größte Kaufhaus darstellt, das die Welt jemals gesehen hat. Diese Liste ließe sich noch lange fortsetzen. Nehmen wir nur noch ein Beispiel: den Tourismus.

Wir reisen in die ganze Welt

Man mag den „Massentourismus“ beklagen, aber in Wahrheit hat er es beinahe jedermann ermöglicht, die ganze oder zumindest die halbe Welt zu bereisen, fremde Länder zu bestaunen, andere Kulturen kennenzulernen. Sind wir ehrlich: Während seit Februar 2022 nur wenige Tausend Kilometer von uns entfernt Krieg herrschte, haben die meisten von uns einen Urlaub angetreten und sich eine unbeschwerte Zeit gegönnt.

Die beste Medizin aller Zeiten

Und wer sich beim Arzt beklagt, dass es etwas länger dauert, bis man einen Termin bekommt oder man zehn Euro für ein Rezept dazuzahlen muss, der sollte einen Moment innehalten und den medizinischen Fortschritt bestaunen. Früher unvorstellbare Operationen, vom Bypass über eine neue Linse im Auge bis hin zum künstlichen Gelenk, gehören zum Standardrepertoire der modernen Medizin. Allein die Tatsache, dass alle diese und viele weitere Operationen heutzutage unter Vollnarkose völlig schmerzfrei durchgeführt werden können, sollte uns Grund zur Dankbarkeit geben. Alle Statistiken zeigen, dass wir heutzutage länger und bei besserer Gesundheit leben als alle Generationen vor uns.

Keine Angst vor der Zukunft

Alle diese Errungenschaften legen die Vermutung nahe, dass wir auch die Zukunft meistern werden. Ist also alles perfekt? Natürlich nicht! Aber es gibt keinen Grund, unser Leben in Angst vor dem Heute und Furcht vor der Zukunft zu verbringen. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Zeit vor uns besser wird als die Zeit hinter uns war, ist groß, wie die genannten Beispiele veranschaulichen. Deshalb sollten wir mit Optimismus in die Zukunft blicken. Nicht mit dem naiven Optimismus eines Kindes, sondern mit dem gereiften Optimismus eines Erwachsenen, der sich der Qualitäten seines Lebens bewusst ist und sich dafür einsetzt, diese Qualitäten zu erhalten und auszubauen.

Unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung

Dazu gehört die Bewahrung unseres freiheitlich-demokratischen Rechtstaates, den viele als ebenso selbstverständlich erachten wie ihr Smartphone. Doch beides sind keine Selbstverständlichkeiten. Wir erleben, wie Menschen in autoritären Staaten wie China, Russland oder dem Iran auf die Straßen gehen und ihr Leben für Freiheit und Gerechtigkeit einsetzen, während wir uns über Trivialitäten beklagen, etwa, dass die Bratwurst auf dem Weihnachtsmarkt etwas teurer geworden ist. Wer sich ständig beklagt, dass „die Politik“ alles falsch macht, sollte so konsequent sein, selbst in die Politik zu gehen. Das ist zugegeben schwieriger als sich eine Bratwurst einzuverleiben, aber auf kommunaler Ebene gibt es sehr viele Möglichkeiten, sich in der politischen Mitgestaltung zu üben und damit selbst ein Stück an der Zukunft zu bauen.

Manifeste unseres Menschseins

Hören wir also auf zu jammern, seien wir dankbar und praktizieren wir gestaltenden Optimismus, indem wir unser Bestes dafür geben, dass die Zukunft sogar noch besser wird als die paradiesischen Zustände, in denen viele von uns heute schon leben. Und hören wir auf, „besser“ immer nur im Sinne von „materiell besser“ zu interpretieren, denken wir vielmehr in Richtung „menschlich besser“. Blicken wir uns um, erkennen wir Menschen, denen es nicht so gut geht wie uns, und bieten wir ihnen Hilfe an. Erinnern wir uns, dass es häufig kleine menschliche Gesten sind, die das Leben lebenswert machen. Bringen wir der älteren Nachbarin von gegenüber etwas vom Weihnachtsmarkt mit, bedenken wir die Kinder in unserer Umgebung mit kleinen Geschenken, nutzen wir unser Smartphone nicht, um in die ganze Welt anonyme Weihnachtsgrüße hinaus zu posaunen, sondern um fünf Menschen anzurufen, die uns am Herzen liegen, und mit denen wir dennoch das ganze Jahr über nicht gesprochen haben. Jeder wird für sich etwas finden, was anderen guttut – und damit auch sich selbst. Gesten der Menschlichkeit sind wie Manifeste unseres eigenen Menschseins.