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Dr. Péter Györkös
Rede des ungarischen Botschafters vor dem Diplomatic Council

Nachfolgend ist die Rede des ungarischen Botschafters Dr. Péter Györkös wiedergegeben, wie er sie auf dem DC Sommerfest am 13. Juli 2023 in Frankfurt am Main gehalten hat. Die Rede ist bewusst unbearbeitet in der Vortragsform gelassen, damit sich jeder ein eigenes Bild machen kann, was wirklich gesagt wurde:

Guten Abend. Die ungarische Sprache zu beherrschen, ist etwas Besonderes. Ich studierte in den 80er Jahren in Moskau, internationale Beziehungen. An dieser Uni werden alle Sprachen der Welt gelehrt. Und dort haben die Lehrstühle einmal einen Wettbewerb organisiert über den Schwierigkeitsgrad der Sprachen. Und Ungarisch stand auf dem fünften Platz in der Welt, aber eindeutig auf dem ersten Platz in Europa. Und dann vor einigen Jahren gab es eine ähnliche Studie in den USA, wo Unternehmen wissen wollten, wie sie ihre Mitarbeiter motivieren sollten, europäische Sprachen zu erlernen. Da gab es das gleiche Ergebnis. Insofern ist die ungarische Sprache in sich selbst eine Herausforderung, ist offizielle Amtssprache der Europäischen Union, aber sicherlich erwarten wir das von keinem, das zu beherrschen.

Ungarn ist das einzige Land außerhalb des deutschen Sprachraumes, wo es eine deutschsprachige Universität gibt, die Andrássy Universität, mit Lehrkräften an dieser Uni. Noch dazu, Ungarn ist das einzige Land außerhalb des deutschen Sprachraumes, wo es möglich ist, für die Kinder von der Kita bis zum PhD alles in Deutsch zu lernen und zu studieren. Warum ist das wichtig? Das ist wichtig, weil wir nicht nur sprachlich so aufgestellt sind, das eine ganz starke Bindung zwischen Deutschland und Ungarn besteht.

In Ungarn gibt es eine ganz starke deutsche Minderheit. Circa 200.000 unserer Landsleute lassen sich identifizieren als „Ungarndeutsche“. Die haben einen direkt gewählten Abgeordneten in der Ungarischen Nationalversammlung. Und: Ungarn ist das einzige Land, wo der Anteil der Deutschen wächst im Vergleich zur Gesamtbevölkerung. Und sogar, weil es ein Sommerfest ist, und ich gehe davon aus, dass sie leider hier keinen ungarischen Rotwein genießen können, aber die ungarndeutschen Winzer haben ein eigenes Netzwerk. Die besten Winzer in Ungarn kommen teilweise aus der deutschen Minderheit. Das ist darauf zurückzuführen, dass nach der Befreiung von den von den Türken besetzten Gebieten in Ungarn, nach der großen Ansiedlung von Deutschland aus, sie in Ungarn ihre Wurzeln begründet haben. A ber ganz ehrlich, die deutsch-ungarische Freundschaft hat nicht damit begonnen.

Unser erstes Treffen war nicht unbedingt eine schöne Geschichte. Es war so: Unsere Vorfahren kamen aus Asien, im Fluss dieser größten Völkerbewegung. Sie landeten im Karpatenbecken, aber Sie wollten weiter. Wir sind im 9./10. Jahrhundert. Das erste große Treffen der Ungarn und der Deutschen war auf dem Lechfeld, 955, wo wir eine riesengroße Niederlage erlitten haben. Aber Deutschland, ganz die Ausbildung, Ausprägung der deutschen Nation, ist dahingehend zu danken, dass die Ungarn sie gezwungen haben, eine Art Mauer um die Städte zu bilden. Nehmen sie Meissen, nehmen sie Bremen, Paderborn und viele, viele Städte. Und das war ein ganz wichtiger Faktor in der Bildung eines deutschen de facto Staates.

Aber die Ungarn haben auch aus dieser Niederlage eine wichtige Lehre gezogen. Das ist unser erster König, der heilige Stefan, weil nach dieser Niederlage auf dem Lechfeld von den Deutschen, von Otto, hat er zwei strategische Entscheidungen getroffen. Krone aus Rom und Ehefrau aus Deutschland, aus Bayern. Die selige Gisela.

Ich werde meinen Vortrag nicht so politisch  halten. Aber es ist so, wenn es darum geht, ob Ungarn zu Europa gehört, etc., dann pflege ich Ihnen zu sagen, dann machen Sie eines Tages eine Reise mit dem Auto aus Budapest nach Brüssel. Und dann betreten Sie Deutschland auf der A3 bei Passau. Und in Passau ist die selige Gisela, die Ehefrau des ersten Königs Ungarns, begraben. In der Niederburghölle. Aber wenn sie Deutschland verlassen in Richtung Brüssel, auf der A4, dann sind sie in Aachen. Dort steht das Symbol des karolingischen Europas, der Aachener Dom. Und Teil dieses Aachener Doms ist seit dem 14. Jahrhundert die Ungarische Kapelle. Vor dieser ungarischen Kapelle, und es gibt jedes siebte Jahr sogar eine Pilgerfahrt, seit dem 14. Jahrhundert, und vor dieser Kapelle steht ein Denkmal des heiligen Stephans des Bildhauers Imre Varga. Sie sollten wissen, wenn Sie einmal in Röndorf sind, im Rosengarten von Konrad Adenauer, dort finden sie ein Denkmal, "Adenauer de Gaulle", und das ist auch von Imre Varga. Keiner sollte uns erklären, was das bedeutet, zu Europa zu gehören.

Dann sind wir im Jahre 1989, wo die Ungarn den ersten Stein aus der Berliner Mauer ausgeschlagen haben. Ja, das hat mich inspiriert. Ich war daran beteiligt, nicht als politischer Akteur, nur als junger Diplomat. Und mir wurde damals gesagt, ich habe angefangen im März 1989 im mongolischen Außenministerium und mir wurde de facto mitgeteilt, dass ich am nächsten Tag als DDR-Referent meinen Job anfangen muss. Damals sagte mir alle Kollegen, Mensch, das ist der langweiligste Job aller Zeiten. Stellen Sie sich vor, Frühjahr 1989, DDR und Ungarn. In der DDR wurde Kurt Hager, der damalige ZK-Sekretär, zuständig für ideologische Fragen. Er sagte, was Gorbatschow tut, werde ich nicht nachahmen, denn wenn mein Nachbar das Zimmer übertapeziert, das muss ich nicht nachahmen. Aber einige Wochen später erschienen die ersten DDR-Flüchtlinge auf dem Gelände der bundesdeutschen Botschaft in Budapest. Dann kam es zu dem panneuropäischen Picknick am 19. August 1989, wo zum ersten Mal nach der Errichtung der Berliner Mauer fast 700 DDR-Flüchtlinge Ungarn Richtung Bundesrepublik Deutschland verlassen haben. Da sich die damaligen sowjetischen Truppen, die in Ungarn stationiert waren, nicht eingemischt haben, galt das irgendwie als ein Beweis, dass Ungarn fortfahren kann.

Am 11. September haben wir auch völkerkehrrechtlich die Grenze für die DDR-Flüchtlinge geöffnet. Das nannte  Helmut Kohl später in seinen Erinnerungen "Ich wollte Deutschlands Einheit" den ersten Stein aus der Berliner Mauer. Aber worauf ich stolzer bin als auf den Schlag aus der Berliner Mauer ist die Tatsache, dass die Unterstützung für die Wiedervereinigung Deutschlands in Ungarn die höchste war, sogar höher als unter den Deutschen selbst. Weil wir, und das ist unser Selbstverständnis, wir haben keine Angst gehabt vor einem vereinten Deutschland. Wir haben sogar gesagt, wenn Deutschland nicht Einheit in Freiheit erringen kann, dann haben wir keine Chance die Souveränität Ungarns wieder herzustellen und wieder zu Europa zu gehören. Und wenn, es geht nicht um Politik, aber trotzdem ein bisschen, wenn ich heute in der Berliner Bubble von Politikern der jetzigen Regierungskoalition belehrt werde, was es bedeuten sollte, ein guter Europäer zu sein, dann muss ich manchmal sagen: Aber damals waren sie gegen die Wiedervereinigung Deutschlands. Sie marschierten mit Transparenten ‚nie wieder Deutschland‘. Wenn Deutschland nicht wiedervereinigt wäre, dann hätten wir heute keine Wiedervereinigung Europas. Das heißt, hier gehen wir davon aus, dass unser gesunder Menschenverstand richtig war. Deutschland wird europäisch, demokratisch sein und sicherlich Dankbarkeit ist keine politische Kategorie. Aber Helmut Kohl war dankbar dafür, was die Ungarn getan haben.

Wir sind dankbar sowohl dem Altkanzler als auch den Deutschen gegenüber, weil sie davon ausgegangen sind, dass mit der Wiedervereinigung Deutschlands die Geschichte nicht zu Ende gekommen war. Jetzt kommt die Wiedervereinigung Europas. Und wir sind da. Wir sind da angekommen. Nächstes Jahr werden wir den 20. Jahrestag der Erweiterung erleben. Trotzdem ist die Stimmung nicht besonders gut und in dieser Stimmung wird manchmal auch Ungarn irgendwie als Störenfried ins Spiel gebracht. Wobei wir davon ausgehen, wir wissen, worum es geht, wenn wir unsere Einheit in Freiheit verteidigen wollen und auch die Souveränität Europas.

Stichwort 2015, wo wir gesagt haben, ohne Außengrenzen ist Europa wie ein Ei ohne Schale. Und wir werden  beweisen, dass es möglich ist, die Außengrenzen zu schützen, weil es einen fundamentalen Unterschied gibt zwischen dem eisernen Vorhang und der Berliner Mauer, die gegen das eigene Volk errichtet wurden, und einem Zaun an den grünen Außengrenzen, der zum Schutz der eigenen Bevölkerung und der eigenen Wirtschaft errichtet werden muss. Denn wenn man nicht in der Lage ist, die Außengrenzen der EU zu schützen, dann landet man gleich an einem Punkt, wo die zwei größten Errungenschaften der europäischen Integration, und das ist auch für die Wirtschaft relevant, der Binnenmarkt und das Schengen-System, verloren gehen. Sicherlich war das der Moment, wo mein Land irgendwie als der böse Zaunkönige vorgestellt wurde.

Aber wir gehen davon aus, dass man hier, und das ist auch heute aktuell, und das bleibt leider noch ein bisschen aktuell weiterhin, wir in einer Situation sind, wo man verstehen muss, dass es in der Welt  globale Probleme gibt, nehmen Sie Migration, Flüchtlinge oder Klimaschutz, die man nicht auf europäischem Boden lösen kann. Das heißt, wir gehen davon aus, man muss nicht in Europa unlösbare Probleme importieren, sondern unsere Hilfe exportieren. Und wir agieren auf dieser Grundlage.

Wir sind sehr daran interessiert, dass Europa wirklich stark bleibt. Leider gehen wir davon aus, dass Europa heute noch reich ist, aber nicht stark. Vielleicht ändert die neue geopolitische Situation unsere Attitüde –  kommt Zeit ,kommt Rat. Was vielleicht für Sie dabei interessant sein kann, wenn Sie entweder als neugierige Menschen oder als Wirtschafts- oder Businessleute unterwegs sind.

Ungarn ist sicherlich etwas Seltsames wegen der Kultur, wegen der Sprache, aber vor kurzem gab es eine Studie einer UN-Organisation, zuständig auch für Tourismus, mit einer Liste der zehn schönsten Städte der Welt und an erster Stelle steht Budapest. Ich kann Ihnen nur empfehlen, dass Sie dorthin kommen

Was die Wirtschaft angeht, sollten Sie folgendes wissen. Viele sprechen darüber, dass Deutschland ein Exportland und die Deutschen eine Exportnation sind. Bei Ihnen ist der Ratio zwischen BIP und Export ein bisschen unter 60%. In Ungarn ist es 82%. Wir sind viel mehr integriert sowohl in den Binnenmarkt als auch im Welthandel. Warum? Weil wir keine Küste haben. Sicherlich wird Ungarn mit seiner Größe nie bestimmend sein, wie die Welt funktioniert oder die Weltwirtschaft. Aber wir haben darauf gesetzt, dass innerhalb des Binnenmarktes, insbesondere in Zusammenarbeit mit der deutschen Wirtschaft, wir die Wettbewerbsfähigkeit gemeinsam stärken werden. Das führte zu einer Umstrukturierung der Wirtschaftsleistung in Europa.

Wir sind daran interessiert, dass alle europäischen Länder eine große Leistung zeigen können. Aber inzwischen sind Ungarn und die Visegrad-Länder gemeinsam mit dem deutschen Wirtschaftsraum Wachstumsmotor geworden. In Ungarn finden Sie so wichtige strategische Branchen, nicht nur die die Autoindustrie, sondern auch schon die Rüstungsindustrie und viele mittelständische Unternehmen. Wir haben circa 6.000 deutsche Unternehmen in Ungarn, die 300.000 Menschen beschäftigen. Wenn Sie die Familienmitglieder dazunehmen, dann ist das schon mehr als 10% der ungarischen Bevölkerung.

Bei uns ist es keine Frage für Diskussionen, was der neue Generalsekretär der CDU gesagt hat. Wir verwirklichen das seit mehr als zehn Jahren. Wer arbeiten kann, muss arbeiten. "The Workfare Society". Wir unterstützen nicht die Arbeitslosigkeit, sondern die Arbeit. Bei uns ist die Körperschaftsteuer die niedrigste in Europa, weil wir davon ausgehen, dass man die Leistung nicht bestrafen soll. Man zahlt bei uns höhere Steuern, überdurchschnittlich höher als in Europa beim Verbrauch. Alle diese Fragen stehen sicherlich auch im Verhältnis mit dem kulturellen Zugang zu diesen Fragen. Es gibt immer diese Diskussion, ob diejenigen recht haben, die sagen „das ist die „economy stupid“, oder diejenigen , die sagen "No, no, this is the culture stupid". In Ungarn sagen wir, beide sind wichtig und das kommt zusammen in den Beziehungen und in der Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Ungarn. Diese ist übrigens viel viel besser als es die Medien häufig darstellen.

Was ich meinerseits nur empfehlen kann: Machen sie ihre eigene Erfahrung. Es lohnt sich, wir sind verlässliche Partner, wir sind verlässliche Europäer, aber sicherlich werden wir für unsere eigenen Wahrheiten aufstehen, sei es Verteilungsunion oder Leistungsunion, sei es Grenzschutz oder unkontrollierte Migration. In solchen Fragen, die uns für Jahrzehnte noch teilen werden, dort sollten wir einander in Ruhe lassen. Wir haben dieses sogenannte Toleranzangebot gemacht. Wer sich dafür entscheidet eine Einwanderungsgesellschaft zu werden, das ist eigene freie Wahl. Das sollte man den anderen nicht aufzwingen wollen. Es wird sowieso nicht erfolgreich sein können. Wenn Sie die Geschichte Ungarns anschauen, wir sind permanent rebellisch. Und man kann uns nur niederschlagen, aber sonst geht es nicht. Oder mit uns reden.

Das gleiche gilt, ich muss es Ihnen sagen, auch für Gesellschaftspolitik. weil in Ungarn die Rechtsgrundlage so aussieht wie in Deutschland bis Juni 2017. Und damals war auch Deutschland kein illiberaler Staat. Aber wir gehen davon aus, dass jeder seine sexuelle Identität so ausübt, wie man das will. Übrigens, morgen gibt es in Ungarn die Budapest Pride. Eine riesengroße Manifestation, in guter Laune, mit 100.000 Leuten. Aber trotzdem bleiben wir bei unseren Grundregeln, dass die Ehe eine Bindung ist zwischen Mann und Frau. Der Vater ist ein Mann, die Mutter ist eine Frau und bis zum 18. Lebensjahr liegt die Hauptverantwortung für die sexuelle Erziehung der Kinder in den Händen der Eltern. Wenn man sagt, wir sind verloren in der Vergangenheit, dann verweisen wir auf unsere Fortschritte bei der Digitalisierung und der Energietransformation sowie auch im Bereich Nuklear, wo wir viel besser mit unseren französischen Verbündeten zusammenarbeiten können, als mit unseren ehemaligen deutschen Partnern.

Aber eines ist wichtig: Woran wir ein fundamentales Interesse haben, ist, dass wir gemeinsam eine sichere Zukunft für Europa und für unsere Kinder in Europa haben haben und dass Europa mithalten kann in der neuen globalen Aufstellung. Denn eine der großen Lektionen der letzten 18 Monate ist, dass es nicht nur eine Frage ist, was geschieht an unserer Ostflanke, sondern was geschieht in der Welt, wie sich andere Teile dieser Welt letztlich aufstellen und das geht nur, wenn wir in Europa wirklich darauf fokussieren, was uns über Wasser hält.

Sehen wir uns so schnell wie möglich in Ungarn. Nicht nur in Budapest. Denn wenn es schon um den Balaton geht, das war der größte Treffpunkt der Deutschen. Das sollten Sie wissen, diejenigen die das noch nicht gewusst haben. Es gibt einen Ort in Europa, in Ungarn, das heißt, das ist das Binnenmeer Ungarns, Balaton. Die Deutschen sagen Plattensee. Es war wirklich so, dass im Sommer 1989 bei uns schon die Liberalisierung auch politisch gesehen so ein Niveau erreicht hatte, dass die Ungarn sagten, auch die Regierung offiziell, wir werden nie mehr diejenigen DDR-Bürger zurückschicken in die DDR, die nicht zurückkehren wollen. Deraufhin stauten sich in Ungarn Zehntausende, weil Ungarn war in den 80er Jahren der größte innerdeutsche Treffpunkt. Für die DDR-Touristen, war die fröhlichste Baracke, das Land des Gulasch-Kommunismus. Das bedeutet, dort kann man in dem sozialistischen System, in diesen Rahmen, doch gewisse Freiheiten  genießen konnte. Dazu gab es guten Wein und gutes Essen. Und für die Westdeutschen war das auch eine Art Abenteuer ohne größeres Risiko. Die deutschen Familien auf beiden Seiten der Berliner Mauer haben es entdeckt: in Ungarn können wir uns einander treffen. Was ich heute den Deutschen sagen kann: Wir haben uns nicht geändert. Gulasch, wir sind weiterhin das fröhlichste Land, nicht die Baracke, aber das fröhlichste Land. Und von dem Gulasch-Kommunismus ist Kommunismus weg, aber Gulasch ist weiterhin da.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.