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Harald Müller und Astrid Orthmann
Vereinfachung ist der einzige Weg gegen Überbürokratisierung

Von den DC Mitgliedern Harald Müller und Astrid Orthmann*

Das in diesem Jahr in Kraft getretene vierte Bürokratieentlastungsgesetz wird durch unzählige neue Vorschriften aus dem letzten Jahr konterkariert, die die Wirtschaft auf Jahre hinweg schwer belasten werden. Die höchsten neuen bürokratischen Hürden hat der Gesetzgeber beim Bauen, beim Heizen und in der Industrie aufgetürmt. Das vom Nationalen Normen­kontrollrat als „größter Bürokratietreiber 2023“ eingestufte Gebäude­energiegesetz steht beispielhaft für den „Bürokratie-Irrsinn“.

Das neue Bürokratieentlastungsgesetz ist dagegen „eine Petitesse“. Von mehr als 400 konkreten Vorschlägen zum Bürokratieabbau aus der Wirtschaft haben gerade einmal elf den Weg in das Gesetz gefunden. Zwar ist es begrüßenswert, dass Arbeits- und Mietverträge nunmehr digital abgeschlossen und gekündigt werden können. Doch auf die Firmengründung via Internet, wie sie in Österreich oder Dänemark bereits gang und gäbe ist, warten wir in Deutschland weiterhin. Nicht einmal ein Drittel der im Jahr 2017 angestrebten 575 Behördenleistungen, die online verfügbar gemacht werden sollen, stehen sieben Jahre später im Internet zur Verfügung. Das jüngste Bürokratieentlastungsgesetz würde man in einem Arbeits­zeugnis wohl mit „er hat sich stets bemüht“ bewerten – will heißen: gelungen ist ihm wenig.“

Ausweg: Vereinfachung

In ihrem neuen Buch „Sanierungsfall Deutschland: Packen wir’s an!“ (ISBN 978-3-98674-116-7) geben Harald Müller und Astrid Orthmann eine fundamentale Antwort auf die Frage, wie Entbürokratisierung gelingen kann. Der einzige Ausweg ist demnach die Vereinfachung.

Auszug aus dem Buch:

Unsere moderne Welt ist komplex, dementsprechend benötigen wir ausgeklügelte Regeln. Es wäre schön, wenn alles einfacher wäre, aber leider, leider, muss es halt kompliziert sein… so lautet das gängige Argument aller Verwaltungsverfechter. Doch dieses Argument ist grund­legend falsch. Gerade weil unsere Welt kompliziert ist, gehört es zu den vornehmsten Aufgaben der Politik, sie für die Bevölkerung möglichst leicht verständlich und einfach handhabbar zu machen.

Was die Politiker von Steve Jobs lernen können

Greifen wir zur Erklärung kurz auf ein Beispiel außerhalb von Politik, Gesellschaft und Verwaltung zurück. Als das zwischenzeitlich verstorbene Tech-Genie Steve Jobs 2007 das iPhone vorstellte, trat dieses seinen Siegeszug nicht aufgrund der tech­nischen Überlegenheit gegenüber konkurrierenden Mobiltelefonen an, wie etwa von Nokia, sondern weil es besonders einfach zu bedienen war. Man sah das Symbol eines Taschenrechners oder eines Briefumschlags auf dem Bildschirm, drückte darauf und konnte seine Berechnung beginnen bzw. den Posteingang kontrollieren. Die dahintersteckende Technologie, der berührungsempfindliche Screen mit Multitouch-Funktionalität und die aufwändig programmierte Software waren äußerst kompliziert, aber aus Sicht des Nutzers war das Gerät intuitiv bedienbar, also ohne Bedienungsanleitung.

Wenn es der Politik gelingt, entlang dieser Analogie Gesetze und Verordnungen zu entwickeln, die komplexe Sachverhalte für die Bevölkerung vereinfachen, statt sie zu verkomplizieren, dann erledigen die gewählten Politiker ihre Aufgabe mit Bravour – andernfalls nicht.

Die Bierdeckel-Rechnung des Friedrich Merz

Im Jahr 2003 präsentierte der damalige stellvertretende Vorsitzende der CDU-Bundestagsfraktion und heutige Kanzlerkandidat der CDU, Friedrich Merz, die Idee einer dreistufigen Einkommensteuer, die so einfach sein sollte, dass sie auf einen Bierdeckel passt. Das Konzept sah nur drei Steuersätze vor: 12 Prozent bei Einkommen zwischen dem damaligen Grundfreibetrag von 8.000 Euro und 16.000 Euro im Jahr, 24 Prozent bei höheren Einkommen bis 40.000 Euro und 36 Prozent bei Einkommen über 40.000 Euro. Dafür sollten viele Steue­rvergünstigungen wie die Pendlerpauschale ersatzlos gestrichen werden. Und statt der sieben Einkunftsarten im deutschen Steuerrecht sollte es nur noch vier geben.

Man mag über das Merz’sche Steuermodell politisch und ideologisch streiten, doch der Grundgedanke der Vereinfachung war mutig und vernünftig. Was aus dem Bierdeckel wurde? Nun, statt ihn in Politik umzusetzen ist er heute in einer Vitrine im Bonner Haus der deutschen Geschichte ausgestellt. Selbst der damalige Ideengeber hat ihn in seiner neuen Funktion als Parteivorsitzender nicht mehr aufleben lassen.

Die 25 Prozent-Regel des Paul Kirchhof

Einen ebenso berühmten wie erfolglosen Anlauf zur Vereinfachung des Steuerrechts unternahm der ehemalige Verfassungs-richter Paul Kirchhof, als er 2005 dem Kompetenzteam für den Wahlkampf von Angela Merkel angehörte. Kirchhof hatte vorgeschlagen, eine Einkommensteuer von 25 Prozent für alle Bürger einzuführen. Angela Merkel wurde bekanntlich zur Bundes-kanz­le­rin gewählt, aber erst, nachdem sie sich von Paul Kirchhof getrennt hatte. 

Paul Kirchhof gab nicht auf: 2011 meldete er sich mit neuen Ideen zur Reform des Steuerrechts zu Wort. Aus den mehr als 200 Steuergesetzen sollte ein einziges Gesetz werden, und die fast 40 Steuerarten könnten auf vier reduziert werden, nämlich Einkommensteuer, Erbschafts- und Schenkungssteuer, Umsatz-steuer, Verbrauchsteuer. Auf beinahe 1.300 Seiten legte er ein „Bundessteuergesetzbuch – Ein Reformentwurf zur Erneuerung des Steuerrechts“ vor.

Ob Merz oder Kirchhof, jede derartige Vereinfachung wurde in einer Kakophonie der Gegenargumente geradezu zertrampelt. Geblieben ist ein Steuersystem, das weiterhin so kompliziert ist, dass es für „Otto Normalverbraucher“ völlig unverständlich ist und selbst von Experten in allen seinen Verästelungen häufig nicht in Gänze verstanden wird.

Aber eine strikte Vereinfachung des Dickichts an Gesetzen, Verordnungen und sonstigen Regelwerken ist unerlässlich, um Bürger und Wirtschaft aus dem Dschungel der Bürokratie zu befreien. Es wird immer Argumente geben, die gegen eine Vereinfachung sprechen und die Notwendigkeit eines weiteren Paragraphen oder einer zusätzlichen Verordnung rechtfertigen.

Ein Parlament, das sich um die Zukunft Deutschlands sorgt, und das ist die Aufgabe des Deutschen Bundestages, muss sich aber daran messen lassen, ob es gelingt, das Regelwerk des Staates auf ein Maß zu stutzen, das überschaubar, verständlich und für die Bevölkerung nachvollziehbar ist. Es wird immer einen konstruierten oder realen Fall geben, bei dem ein Gesetz mehr, eine genauere Präzisierung oder ein Ausnahmetatbestand besser gewesen wäre, zu mehr Gerechtigkeit geführt oder die Sicherheit erhöht hätte. Doch es ist ein Irrglaube, dass immer mehr Gesetze, Verordnungen, Verwaltungsvorschriften, Bußgeldkataloge oder sonstige Regularien, Rechtsnormen oder ausufernde technische Standards zu einer besseren, sichereren und gerechteren Welt führen werden.

 

* Harald Müller ist Geschäftsführer der BWA, die er vor über einem Vierteljahrhundert als Bonner Wirtschafts-Akademie gegründet hat. Unter dem Motto „Consulting, Coaching, Careers“ agiert die BWA als neutraler Vermittler zwischen Arbeit­gebern und Gewerkschaften zum Vorteil der Arbeitnehmer. Es gab in den letzten 25 Jahren kaum einen Megatrend, an dem die BWA mit Harald Müller an der Spitze nicht beratend und anpackend mitgewirkt hat: demografischer Faktor, Digitalisierung, vernetztes Arbeiten, Integration von Flüchtlingen, Branchen­umwälzungen etwa in der Automobil- oder Kunststoffindustrie, der Energiewirtschaft sowie der Chemischen und Pharmazeutischen Industrie, Fachkräftemangel, lebenslanges Lernen durch Weiter­bildungsprogramme, Gesundheitsfragen wie beispielsweise Burn-Out-Prophylaxe, Outplacement, Talente suchen und finden, Gen X, Y, Z und Alpha, Work-Life-Balance, Golden Workers, Gender Gap, Home Office, Künstliche Intelligenz. Aus dieser Fülle an Erfahrungen schöpft Harald Müller die Kompetenz für seine publizistische Tätigkeit.

Astrid Orthmann ist seit 2008 Mitglied der Geschäftsleitung der Bonner Wirtschafts-Akademie (BWA). Sie hat entscheidend am Ausbau der BWA zur heutigen überregionalen Bedeutung mitgewirkt. In dieser Zeit hat sie in zahlreichen Projekten über viele Branchen hinweg als Projekt- und Maßnahmenleiterin Erfahrungen gesammelt, die das Fundament ihrer publizistischen Tätigkeit bilden.