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Verfassungsschutz-Abend
Wir brauchen den Verfassungsschutz

Die Veranstaltung mit Robert Schäfer, Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz Hessen auf Einladung des Wirtschaftssenat Deutschland im Diplomatic Council, diente dazu, über den Verfassungsschutz und seine Rolle in unserer Demokratie aufzuklären. Nachfolgend sind die Aussagen und Erkenntnisse des Abends zusammengefasst:

Keine Polizei

In der Diktatur war das möglich, was man konnte. Heute ist nur das möglich, was man darf. Der Verfassungsschutz hat keinerlei polizeiliche Befugnisse. Aber er darf Menschen observieren, Kommunikation überwachen und „menschliche Quellen“ anzapfen. Kontrolliert wird der Verfassungsschutz nicht von Staatsanwaltschaft oder Gerichten, sondern vom Parlament, also von den gewählten Vertretern des Volkes. Hierzu gibt es eine parlamentarische Kontrollkommission, der gegenüber der Verfassungsschutz berichtspflichtig ist. So darf etwa Kommunikation nur dann überwacht werden, wenn es das Parlament genehmigt. Zudem ist der Verfassungsschutz zuständig für Cyberspionage, Wirtschaftsschutz und für organisierte Kriminalität.

Was ist wahr?

Eine Herausforderung in unserer heutigen Gesellschaft besteht in der Beantwortung der Frage: Was ist wahr? Und wer bestimmt, was wahr ist? Man kann verbreiten, was man will - gleichgültig wie intelligent oder wie dumm -, es wird immer Menschen geben, die daran glauben. Durch das Internet wird dieses Phänomen potenziert. Im Netz findet jeder Blödsinn seine Likes; diese schaukeln sich gegenseitig hoch, so dass der Eindruck einer breiten Zustimmung zu praktisch jedem Unsinn entsteht. Und daraus wird Meinung gemacht, gesellschaftliche und politische Meinung. Aus Meinungen entstehen Überzeugungen, aus Überzeugungen entstehen Handlungen. Diese Meinungsmechanismen sind ein dauerhafter Nährboden für Extremismus und letztlich für extremistische Gewalt. Das neue Netzwerkdurchsetzungsgesetz (Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken – NetzDG) hilft zwar enorm, aber es schaltet das Phänomen nicht aus. Die jungen Menschen informieren sich überwiegend ausschließlich über soziale Netzwerke, vor allem YouTube. Es ist schwer, den unter 30jährigen zu vermitteln, dass nicht alles, was auf Facebook oder YouTube erscheint, wahr ist. Das gilt insbesondere für die Meinungsmache seit 2015, dass der Staat zu schwach sei, um der sogenannten Migrationswelle Herr zu werden. Schon diese Annahme ist grundlegend falsch, aber sie wurde von interessierten Kreisen zigfach wiederholt, um darauf die These aufzubauen, „die Bürger selbst“ müssten ihr Vaterland retten. Das ist Rechtsextremismus. Und wie für jeden Blödsinn gibt es eben auch für diesen Likes und wir erleben das Aufschaukeln dieser These zu Überzeugungen und zunehmend auch zu gewaltsamen Handlungen, weil Rechtsextremisten gewaltbereit und waffenaffin sind. Warum ist die Weimarer Republik untergegangen? Unter anderem, weil der Staat ein laisse-faires Verhalten an den Tag gelegt hat. Das war falsch. Das Grundgesetz muss jeden Tag neu verteidigt werden - und dabei spielt der Verfassungsschutz eine wichtige Rolle.

Sicherheitslage ist gut

Die Sicherheitslage heutzutage ist gut, besser als früher, aber dennoch fühlen sich viele Bürger unsicher. Woran liegt das? Es ist das Unkalkulierbare. Früher war man sich der Gefahr, dass auf einer Kirmes nach reichlich Alkoholgenuss möglicherweise eine Schlägerei ausbrechen kann, bewusst. Das galt als kalkulierbares Risiko. Aber heute grassiert die Angst vor dem Unkalkulierbaren: Ein Weihnachtsmarkt wird angegriffen, ein Amokläufer schießt wild um sich, eine Bar wird von einem Attentäter gestürmt - die Liste der völlig unerwarteten Gefahren ist lang. Dies hat zu einem Zulauf der rechten Szene geführt, die vermeintlich die alte Ordnung wiederzustellen verspricht. Mittels „selbstgemachter Wahrheiten“ sprechen diese Gruppierungen im Internet junge Menschen an, denen das Korrektiv traditioneller Medien fehlt, und die daher Gefahr laufen, auf die Meinungsmache der rechten Szene hereinzufallen. Hinzu kommt, dass die jungen Menschen in der Regel über ein wenig ausgeprägtes Geschichtsbewusstsein verfügen. Sie haben die Bilder der ausgemergelten Körper und der Toten bei der Befreiung von Ausschwitz nie gesehen. Die unendlichen Gräuel des Dritten Reiches sind ihnen gar nicht bekannt oder haben für sie keine Bedeutung.

Rechtsextremismus

Vor allen diesen Hintergründen gedeiht der Rechtsextremismus. Dabei bedient er sich häufig einer ausgeklügelten Wortwahl, die gerade noch gesellschaftlich akzeptabel erscheint, aber dennoch den Weg ins Verderben ebnet. Die Tradition, die Heimat, das Vaterland und das Volksgut bewahren sind die typischen Begriffe. Damit wähnen sich die Rechtsextremisten sogar unterstützt von Teilen der Gesellschaft. Der Spruch „das wird man ja wohl nochmal sagen dürfen“ baut genau diese Brücke zwischen konservativ und rechtsextremistisch, die Vorstellung einer Gesellschaft ohne Migrationshintergrund. Tenor: „Wegen eurer Zuwanderungspolitik stehen wir [gemeint sind deutsche Frauen] bald einer Mehrheit von jungen Männern aus archaischen, frauenfeindlichen Gesellschaften gegenüber“ (Originalzitat, gesprochen von einer jungen Frau in einem Video der rechtsextremen Szene).  Ziel dieses und vieler weiterer ähnlicher Videos, Posts und Blogs ist die Übernahme der Deutungshoheit im Netz, also die Manipulation der Meinungen zu Überzeugungen.

Verführung der Jugend

Als Einstandsdroge zur Ansprache junger Menschen bedienen sich die Rechtsextremisten seit Jahren der Musik. Eingängige Rhythmen gemischt mit scheinbar gesellschaftskritischen, bei genauerer Betrachtung aber zutiefst rechtsextremen Texten, verführen die Jugend. Die Gruppendynamik wird genutzt, um Neuzugänge sukzessive ins rechte Milieu hineinzuziehen - übrigens genau wie bei den Salafisten. Es ist die Aufgabe des Verfassungsschutzes, diese Wirkmechanismen aufzuspüren, zu identifizieren und letztlich ihnen entgegenzuwirken. Der Staat kann nicht zulassen, dass Verfassungsfeinde die Jugend trickreich verführen, sich gegen unsere demokratische und pluralistische Gesellschaft zu stellen. Denn wenn diese Strömungen erfolgreich sein würden, wäre es das Ende unseres Rechtsstaats.

Das Buch zum Thema "Rechtsruck" ist im Verlag des Diplomatic Council erschienen.

Die Folgeveranstaltung zu diesem Themenkomplex heißt "Der deutsche Rechtsstaat ist in Gefahr" und findet am 23. April statt. Referent ist Jens Gnisa, von 2016 bis 31.12.2019 Vorsitzender des Deutschen Richterbundes. 

Weitere Informationen und Anmeldung für den 23. April