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Wirtschaftsraum EU - Wie sich die Lage durch Covid-19, Länderpolitik und den Einfluss der Zentralbanken verändert.
Eine Analyse von GrünerFisher, Mitglied im Wirtschaftssenat des Diplomatic Council
Hinter dem europäischen Leitgedanken steht seit jeher die Idee, gesellschaftliche und wirtschaftliche Barrieren zu überwinden und Europa zu einem starken, geeinten Mitglied der globalen Wirtschaft zu machen. Ein „Binnenmarkt ohne Grenzen“ ist und bleibt das erklärte Ziel der Europäischen Union, um auf aggregierter Basis mit den BIP-Schwergewichten USA und China mithalten zu können.
Offiziell lässt die Europäische Union verlauten: „Ziel der Europäischen Union ist es, dass die EU-Bürgerinnen und -Bürger in allen EU-Ländern studieren, wohnen, einkaufen, arbeiten oder ihren Ruhestand verbringen sowie aus einem reichhaltigen Angebot an Produkten aus ganz Europa wählen können.
Zu diesem Zweck stellt sie den freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Personen in einem EU-Binnenmarkt sicher. Durch die Beseitigung technischer, rechtlicher und bürokratischer Hindernisse ermöglicht die EU den Bürgerinnen und Bürgern den freien Handel und die freie Ausübung von Geschäftstätigkeiten.“
Obwohl der Anteil der EU an der Weltbevölkerung nur rund sieben Prozent beträgt, macht der Handel zwischen der EU und der restlichen Welt rund 16 Prozent der weltweiten Ein- und Ausfuhren aus. Trotz aller Exportstärke erfolgen 64 Prozent des Gesamthandels der EU-Länder mit anderen EU-Ländern.
Starker Wirtschaftsraum
Man kann also durchaus von einem „starken Wirtschaftsraum“ sprechen, doch die klar definierte Zielsetzung der Europäischen Union ist seit jeher mit Komplikationen verbunden. Die Heterogenität der einzelnen Staaten, der nationale Wunsch nach Souveränität und erhebliche wirtschaftliche Unter- schiede unter den Mitgliedsstaaten machen die Europäische Idee zu einem Mammutprojekt mit vielen politischen Hindernissen. Auf der einen Seite stehen die wirtschaftlichen Schwergewichte Deutschland und Frankreich, auf der anderen Seite die wirtschaftlich schwächeren Staaten, die als „Peripherie- Länder“ oder „PIIGS-Staaten“ im Höhepunkt der Eurokrise viele Schlagzeilen geliefert haben.
Seit Jahren schon sorgt die europäische Gemeinschaftswährung im Zuge einer steigenden Verschul- dung im Euroraum und einer auseinanderdriftenden Schere zwischen Nord und Süd für Sorgenfalten bei Euro-Anlegern. Die Gemeinschaftswährung scheint fehlkonzipiert und nicht in der Lage zu sein, die strukturellen Probleme einer gemeinsamen Währung ohne gemeinschaftliche Fiskalpolitik lösen zu können. Wachsender Populismus in ganz Europa und der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union steigern die Unsicherheiten tendenziell.
Der Kampf um die europäische Einigkeit ist auch ein immerwährender Kampf für die Akzeptanz unter den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten – schließlich geht es am Ende nicht nur um wirtschaftliche Konkurrenz- fähigkeit, sondern auch um politische Kompetenzen. Dabei ist die politische Stabilität in einzelnen Ländern nicht gegeben: Regierungen brechen auseinander wie beispielsweise in Spanien, Italien oder Frankreich, die Flüchtlingskrise lässt die Werteunion erzittern und auch das dauerhafte Niedrigzinsumfeld scheint mehr an ein stagnierendes Japan der letzten zwei Jahrzehnte zu erinnern als an einen klaren Plan der wirtschaftlichen Expansion.
Die Europäische Zentralbank (EZB) ist in den letzten Jahren zunehmend in den Mittelpunkt des Geschehens gerückt. Mit expansiver Geldpolitik und umfang reichen Maßnahmenkatalogen ist die EZB seit vielen Jahren um Stabilität in Europa bemüht, ebenso stehen die Entscheidungen der EZB unter Christine Lagarde und zuvor Mario Draghi seit Jahren in der Kritik. Anleger sind aufgrund der politischen und wirtschaftlichen Risiken in Europa stark verunsichert, die negativen Schlagzeilen reißen nicht ab: Von der Eurokrise über die hohe Verschuldung bis zur Corona-Krise im Jahr 2020.
Erwartung an den Aktienmärkten
An den Aktienmärkten ist die Erwartungshaltung auf einem relativen Tiefpunkt angekommen. Die Positionierung der professionellen Manager ist nicht nur wegen der relativen Underperformance der Euro zone im letzten Marktzyklus inzwischen besonders niedrig. Auch die Erwartungshaltung der Gewinne und Umsätze europäischer Unternehmen ist historisch schlecht. Einer der Gründe dürfte die besonders starke Exportabhängigkeit europäischer Unter- nehmen insbesondere von China kombiniert mit einem besonders niedrigen Anteil an den dominierenden Technologieunternehmen sein. Die wirtschaftlich besonders sensitive Struktur der europäischen Unternehmen hat gerade in der jüngsten Vergangenheit zusätzlich stark unter Corona und einem sich verschlechternden Kreditumfeld gelitten.
Doch nicht alles ist schlecht. Für einen differenzierten Blick auf die Probleme Europas und mögliche Lösungen ist es zwingend notwendig, die Themen tiefer zu beleuchten und sich nicht einfach auf populistische Weisheiten zu berufen. Viel eher gilt es, die richtigen Schlüsse zu ziehen für die persönliche Situation aber auch für die Frage, was all diese Entwicklungen und ihre möglichen Worst-Case-Szenarien für die persönliche Geldanlage bedeuten.
Hierzu hat GruenerFisher eine aktuelle Eurostudie vorgestellt, die zusammen mit weiteren Analysen aus demselben Finanzhaus hier abrufbar ist.