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Friedrich Nietzsche
Disruption 2020

Das Jahr 2020 steht für die erste und bislang größte globale Katastrophe der Menschheit im 21. Jahrhundert. Nie zuvor fühlten sich Milliarden von Menschen gleichzeitig dem Tod so nahe wie seit Anfang 2020. Die Coronavirus-Pandemie stellt eine Zäsur dar.

Binnen weniger Monate raste ein Virus rund um den Globus und löste die erste weltweite Massenhysterie in der Geschichte der Menschheit aus. Das hatte einen einfachen Grund: Die Menschen fühlten sich hilflos einer möglicherweise todbringenden Krankheit ausgesetzt, gegen das es lange Zeit keine Impfung und keine Medikamente gab. Es war diese Hilflosigkeit, die weit über die rationale Abwägung der Ansteckungsgefahr und der Wahrscheinlichkeit, tatsächlich daran zu sterben, die Welt in Schockstarre versetzte.

In atemberaubender Geschwindigkeit wandelten sich Demokratien zu Herrschaftsstaaten, in denen die Regierungen den Bürgern so schnell so viele Freiheitsrechte wegnahmen, dass das Wort von der „Corona-Diktatur“ die Runde machte. Grundrechte wie etwa die Versammlungsfreiheit oder das Recht, sich mit Personen seiner Wahl zu treffen, wurden beinahe über Nacht abgeschafft. Das öffentliche Leben kam zum Stillstand. Geschäfte, Schulen, Gaststätten, Hotels und sogar öffentliche Plätze wurden von heute auf morgen geschlossen. Die meisten von uns werden gezwungenermaßen Weihnachten 2020 und Silvester 2020/21 so still begehen nie zuvor – und selten mit derart gemischten Gefühlen für das neue Jahr.

Für viele von uns ist die Pandemie die erste globale Katastrophe, bei der wir nicht am Fernseher in der ersten Reihe saßen, sondern mittendrin im Desaster an vorderster Front standen. Da ist die Sorge um die eigene Gesundheit und die Gesundheit von Angehörigen, die Gefährdung der eigenen wirtschaftlichen Existenzgrundlage und die zuvor unvorstellbaren Einschränkungen in unserem persönlichen Leben. Nur die Überlebenden des Zweiten Weltkriegs haben eine ähnlich einschneidende Erfahrung hinter sich. Alle anderen kennen je nach Alter Terrorwellen, Flüchtlings- und Finanzkrisen – aber eher aus der Ferne, aus den Medien, als Diskussionsstoff, schlimmstenfalls im eigenen Portmonee. Die Coronavirus-Pandemie ist die erste weltweite Katastrophe, die uns alle – die gesamte Menschheit – betrifft, jeden einzelnen.

Wenn die Coronavirus-Krise hoffentlich gegen Ende nächsten Jahres hinter uns liegt, werden wir Abertausende von Mitmenschen verloren haben, aber wir – die Menschheit – wird wie Phoenix aus der Asche aus der Krise hervor steigen und weiter leben. Indes wird die Welt nach Corona eine andere sein als vorher. Es ist ein Irrglaube zu meinen, dass die Überlebenden der Pandemie danach einfach so weitermachen können wie zuvor. Die Katastrophe hat uns, die wir zum ersten Mal eine derart lebensbedrohliche Krise erleben, verändert. Und sie hat unsere Gesellschaft, unsere Politik, unsere Wirtschaft und unsere Sichtweise auf unser Gesundheitswesen nachhaltig verändert. 2020 wurden binnen eines Jahres so viele Weichen für unsere Zukunft gestellt wie zuvor über Jahrzehnte nicht. Digitalisierung, Überwachung, Freiheitsbeschränkung, Home Office, Abschalten der Kultur, Übergang von der Milliarden- zur Billionen-Verschuldung des Staats – es genügen wenige Stichworte, um die Disruption deutlich zu machen. Die damit festgelegten Richtungen und die Bewältigung der Folgen werden vermutlich eine ganze Generation für rund eine Dekade beschäftigten.

Lehrt uns  die einschneidende Erfahrung der Jahre 2020/21 Demut? Hoffentlich! Hoffentlich gelingt es uns nach dem Erlebten uns mehr als je zuvor am Leben zu erfreuen, an den kleinen Freuden des Alltags, statt nach immer mehr zu streben. Hoffentlich wissen wir unsere Gesundheit höher zu schätzen, statt sie im beruflichen und privaten Stress zu ruinieren. Hoffentlich gehen wir mit unserer Familie, unseren Freunden, unseren Kollegen und letztlich mit allen unseren Mitmenschen nach der Krise liebevoller um.

Um es mit dem Philosophen Friedrich Nietzsche zu sagen: Die Hoffnung ist der Regenbogen über dem herabstürzenden Bach des Lebens.