Thought Leadership

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Dr. Horst Walther
Die Werte Europas sind unser Engagement wert!

Von DC Mitglied Dr. Horst Walther, Co-Autor des Buches "Denken 5.0", das im Verlag des Diplomatic Council erschienen ist.

Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Achtung der Menschenrechte sind die Werte, auf die sich die Europäische Union gründet. Sie sind im Vertrag über die Europäische Union verankert und wurden durch die Charta der Grundrechte gestärkt. Länder, die der EU beitreten wollen, müssen die Menschenrechte respektieren.

Artikel 1 des Deutschen Grundgesetzes beginnt mit dem wunderschönen Satz: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“

Längst auch haben diese Ideen jenseits Europas Fuß gefasst. „All men are created equal“ heißt es beispielsweise in der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Amerika, wobei man allerdings Millionen an Sklaven geflissentlich außen vorgelassen hatte.

Heute also sind uns diese europäischen Werte, auf denen unsere alltäglichen Bürgerfreiheiten beruhen, so selbstverständlich geworden, dass es langweilt, von Ihnen zu hören. Eigentlich wäre es als gutes Zeichen zu werten, wenn Politik langweilig würde – wäre dieses Europa der Bürgerfreiheiten nicht bedroht.

Bedrohungen, von innen wie von außen, gab es seit jeher. Die ernsteren unter ihnen sind in uns selber zu suchen: politische Teilnahmslosigkeit, geschichtliche Ignoranz, Toleranz gegenüber dem Intoleranten, mangelnde Wertschätzung der „selbstverständlichen“ Bürgerfreiheiten, die Europa erst zu unserem Europa machen.

Diesen einzigartigen Kern Europäischer Lebensphilosophie zu bewahren und weiter zu entwickeln, ist unser entschiedenes Engagement wert.

Europa braucht die demokratische Legitimation

Vielfach beklagt wird die fehlende demokratische Legitimation der als Eurokratie gescholtenen Brüsseler Verwaltung. Vor 10 Jahren hat sich Jürgen Habermas, Professor Emeritus für Philosophie der Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt am Main seine Gedanken gemacht und sie in „Zur Verfassung Europas – ein Essay“ niedergelegt. Danach befindet sich die Europäische Union „vor der Entscheidung zwischen transnationaler Demokratie und postdemokratischem Exekutivföderalismus“.

Wie auch Habermas leite ich aus dem „ungesteuerten politischen Komplexitätswachstum der Weltgemeinschaft, das den Handlungsspielraum der Nationalstaaten systematisch immer weiter einschränkt“, die Forderung ab, „die politischen Handlungsfähigkeiten über nationale Grenzen hinaus zu erweitern“.

Das Ergebnis wäre ein Staat Europa – nach außen einheitlich nach innen föderal aufgebaut. Das wäre übrigens keineswegs ein neuer Gedanke, so wie in diesem gesamten Beitrag letztlich nur bekannte Aussagen kombiniert werden, um daraus allerdings die nach unserer Meinung richtigen Schlüsse zu ziehen. Stephen Green wies in seinem Büchlein „The European Identity – Historical and Cultural Realities we cannot deny” darauf hin, dass 1946, noch inmitten der Ruinen des Zweiten Weltkriegs, sogar Winston Churchill die Gründung der Vereinigten Staaten von Europa vorgeschlagen hatte. Aber auch er hatte bereits Vorläufer, wie Aurel Popovici, der bereits 1906 die „Vereinigten Staaten von Großösterreich“ postuliert hatte.

Aktuell gibt es laut dem Vertrag über die Europäische Union (EUV) sieben Europäische Organe:

  1. Das Europäische Parlament.
  2. Der Europäische Rat.
  3. Der Rat der Europäischen Union (Ministerrat)
  4. Die Europäische Kommission.
  5. Der Europäische Gerichtshof.
  6. Die Europäische Zentralbank.
  7. Der Europäische Rechnungshof.

An erster Stelle steht das europäische Parlament. Das ist auch gut so. Es suggeriert die Souveränität der Europäischen Völker über Ihre Entscheidungen. De-facto allerdings liegt die Macht im Ministerrat, also den Vertretern der Mitgliedsstaaten. Diese Entscheider mit ausschließlich nationalem Mandat fällen letztlich die Entscheidungen. Jeder von Ihnen will dabei für „sein Land“ das meiste aus dem großen Topf herausholen. Analog zu der bekannten „Tragedy of the Commons“ leidet darunter das Gemeinsame, also Europa.

Das europäische Parlament spiegelt diese streng nach Mitgliedsstaaten gegliederte Ordnung ebenfalls wider. Das beginnt bereits beim Fehlen echter Europäischer Parteien. Mitglieder der sogenannten Europäischen Parteien können nicht etwa die Bürger Europas werden, sondern nationale Parteien der Europäischen Mitgliedsstaaten.

Es scheint der unausgesprochene Konsens zu herrschen, dass Europa letztlich eine Art zivilisierte Neuauflage der Westfälischen Ordnung Europas sein solle, wie sie zwischen dem Westfälischen Friedensschluss im Jahre 1648 bis zu den Napoleonischen Kriegen für etwa 200 Jahre Bestand hatte. Hier wurden erstmals Nationalstaaten als Akteure erwähnt und vorranging deren Angelegenheiten untereinander geregelt – notfalls auch mit Krieg. Für die Beziehungen nach außen hingegen gab es keine Regelungen. Hier waren die Nationalstaaten die alleinigen Spieler. Handlungsunfähigkeit nach außen allerdings ist genau das, was Europa mehr denn je gerade jetzt benötigt.

Die Gegner einer tieferen Europäischen Integration weisen immer wieder genüsslich darauf hin, dass die Europäischen Völker zu verschieden seien, um in einem Staat glücklich zu werden. Dem sei entgegengehalten, dass es zum einen hier nüchtern um das Überleben einer Europäischen Identität und Lebenswirklichkeit im sich zuspitzenden Wettstreit der Weltmächte USA und China geht und nicht etwa um den „Pursuit of Happiness“.

Europa benötigt mehr Gewicht

Ich habe es bereits mehrfach erwähnt: wenn wir nicht Spielball fremder Mächte, nicht Opfer globaler Entwicklungen, nicht zwischen rivalisierenden Machtblöcken zerrieben werden wollen, dann müssen wir uns neu erfinden. Wenn wir als respektierter Spieler auf der Weltbühne ernstgenommen werden, wenn wir uns selber ernst nehmen wollen, dann müssen wir Europa erschaffen. Ja, wir müssen es erst erschaffen. Denn das Europa, das wir dafür brauchen, existiert noch nicht, es ist noch nicht einmal konsequent erdacht worden.

Um mit dem nötigen Kampfgewicht in den internationalen Ring steigen zu können, muss dieses Europa einige Eigenschaften aufweisen: Es muss groß, einheitlich und unabhängig sein. Fangen wir an, dieses Europa zu erschaffen.