Thought Leadership
Von DC Mitglied Jane Enny van Lambalgen, CEO Planet Industrial Excellence
Viele mittelständische Unternehmen sind von einer Firmenstrategie zur Einführung von Künstlicher Intelligenz Lichtjahre entfernt. Vielmehr gibt es viele Mittelständler, die über Jahre hinweg lediglich notwendige Ersatz- und kaum Modernisierungsinvestitionen vorgenommen haben. In vielen Betrieben haben dazu schlichtweg die finanziellen Mittel gefehlt.
Bei Projektaufträgen stoßen wir regelmäßig auf über 20 Jahre alte ERP-Installationen. Immerhin: In fast jedem Betrieb gibt es einzelne Bürobeschäftigte, die unabhängig von jedweder Firmenstrategie ChatGPT oder Gemini nutzen, um sich die Arbeit zu erleichtern. Bei dieser „Schatten-KI“ blieben allerdings Datenschutz und Datensicherheit regelmäßig auf der Strecke.
Drei Gründe für die KI-Abstinenz
Für die KI-Abstinenz im Mittelstand gibt es vor allem drei Gründe: der durch den wirtschaftlichen „Überlebenskampf“ verursachte Tunnelblick, eine fehlender Zukunftsvision verbunden mit der Überforderung, auf die immer schneller werdenden Veränderungen zu reagieren, und eine Überlastung durch Bürokratie und Hierarchie, die ein Übermaß an Zeit und Geld verschlingt.
Das sagt zwar niemand, aber es ist doch unübersehbar, dass zahlreiche Firmeninhaber erst dann investieren, wenn es unvermeidbar ist, um den Betrieb überhaupt aufrecht zu erhalten. Solange die Firma genügend Gewinn abwirft, mangelt es vielen mittelständischen Unternehmern an der Bereitschaft, ihre Komfortzone zu verlassen. Hinzu kommt die durch den berühmt-berüchtigten Tunnelblick verursachte Unkenntnis über aktuelle Entwicklungen abseits des Tagesgeschäfts.
Bürokratie als Innovationshemmnis
Neben der mangelnden Zukunftsorientierung erweist sich in vielen Fällen die ausufernde Bürokratie als ein Innovationshemmnis bei zahlreichen mittelständischen Firmen. Ein Beispiel: Wenn an einem Gebäude auch nur minimale Änderungen etwa im Lager vorgenommen werden, so ruft das geradezu eine Flut von Behörden auf den Plan, die alle nach ihren Vorschriften prüfen und häufig Änderungen verlangen. Gelegentlich widersprechen sich die Forderungen sogar, auf jeden Fall sind sie in der Regel mit reichlich Aufwand verbunden.
Häufig bedarf es nicht einmal Änderungen im Betrieb, sondern es kommen schlichtweg neue Auflagen hinzu, die nachträglich erfüllt werden müssen. Es gibt Fertigungsbetriebe, die haben in den letzten 20 Jahren vor allem investiert, um den immer strikteren Vorschriften beim Brandschutz und den ständig steigenden Sicherheitsanforderungen zu genügen, ohne dadurch irgendwelche betrieblichen Vorteile zu erlangen.
Wichtigere Baustellen als KI
Die meisten mittelständischen Unternehmen haben derzeit wichtigere Baustellen als Künstliche Intelligenz. Dazu gehören die Verbesserung von Betriebsprozessen, die Anpassung der Fertigung an den Stand der Technik, der Ausbau der Vertriebskanäle, die Modernisierung der IT-Infrastruktur, die Optimierung der Online-Aktivitäten, Maßnahmen zu Erhöhung der Kundenloyalität und die Stärkung der Resilienz insbesondere in den Lieferketten.
Natürlich kann KI bei einigen dieser Aufgaben helfen, etwa bei Betriebsprozessen wie im Einkauf, im Online-Bereich und bei der Kundenkommunikation. Doch der Einsatz von KI für technische Anwendungen, Auswertungen oder die Erstellung von Dashboards und KPIs komplex. Auch die Verarbeitung von Informationen aus älteren ERP-Systemen stellt eine meistens kostspielige Herausforderung dar. Im Fokus hat die Erreichung der betrieblichen Ziele zu stehen. Künstliche Intelligenz sollte momentan nur dann eingeführt werden, wenn dies dem Unternehmen kurzfristig einen Nutzen bringt. Zudem fehlt in vielen Firmen schlichtweg die Kompetenz für eine KI-Einführung.
* Jane Enny van Lambalgen ist Founding Partner und Geschäftsführerin der Firma Planet Industrial Excellence sowie Mitglied bei United Interim, der führenden Community für Interim Manager im deutschsprachigen Raum, und im Diplomatic Council, einer globalen Denkfabrik mit Beraterstatus bei den Vereinten Nationen (UNO). Für Unternehmen ist sie tätig als Interim Manager für Strategie, Operational Excellence, Turnaround, Supply Chain Management und Digital Transformation. Als Managerin auf Zeit übernimmt sie Positionen als CEO, Managing Director, COO, Delegierte des Verwaltungsrats, Aufsichtsrat und Beirat in der mittelständischen Wirtschaft. Schwerpunkte ihrer Tätigkeit sind internationale Operations-Einsätze mit Fokus auf Produktion, Supply Chain und Logistik.