Thought Leadership
Von DC Mitglied Eckhart Hilgenstock*
Weite Teile der deutschen Wirtschaft vernachlässigen ihren Vertrieb sträflich. Während Firmenbereiche wie Einkauf, Produktion oder Logistik in der Regel fortlaufend verbessert werden, fährt der Vertrieb in den meisten Unternehmen auf alteingefahrenen Gleisen. Dafür gibt es eine plausible Erklärung: In den meisten Abteilungen steht die Kostenoptimierung im Mittelpunkt der Verbesserungsbemühungen, aber das ist beim Business Development kein vernünftiger Handlungsmaßstab. Daher gibt es im Vertrieb häufig außer dem Druck, mehr zu verkaufen“ wenig Innovationskraft.
In der aktuellen Wirtschaftsflaute sind die Unternehmen gut beraten, dem Business Development eine hohe Priorität zu geben, statt sich nur auf Kostensenkung zu konzentrieren. Aus zahlreichen Firmenprojekten ziehe ich den Schluss, dass im Durchschnitt die Umsätze allein durch Vertriebsoptimierung um 15 bis 20 Prozent zu steigern sind. Oft stellen sich in der Praxis erste Erfolge schon nach wenigen Wochen ein.
Zehn Ratschläge zur Vertriebsoptimierung aus der Praxis
Ich habe in zahlreichen Projekten die Erfahrung gemacht, dass die meisten Unternehmen ihre Produkte an die mehr oder minder immer gleichen Kunden oder Kundengruppen in eingespielten Abläufen verkaufen. Im Vertrieb herrscht die Devise ‚Das haben wir schon immer so gemacht‘ vor“, dabei gibt es gerade auf diesem Sektor ein immenses Verbesserungspotenzial.
Nachfolgend zehn Tipps, worauf Unternehmen beim Vertrieb achten sollten.
1. Kundenzentrierung: Es lohnt sich, in die Rolle des Kunden zu schlüpfen und die Prozesse aus der Einkaufs- statt aus der Verkaufsperspektive zu durchlaufen. Dieser Rollenwandel ist in der Regel die erste Maßnahme, wenn ich ein neues Projekt zur Vertriebsoptimierung angehe. Die in der Marketingwelt vielgepriesenen „Customer Journey“ liegt bei den Firmen zuhauf im Argen. Die unvermeidliche Betriebsblindheit steht vielen Vertriebsabteilungen im Weg, um die Stolpersteine zu erkennen, die einen Interessenten vom Kauf abhalten.
2. Segmentierung: Die Aufteilung der Kundschaft in verschiedene Segmente ist meist erhellend. Das Pareto-Prinzip wird in der Regel missachtet: Statt sich auf die 20 Prozent der Kunden zu konzentrieren, die 80 Prozent des Umsatzes machten, werden häufig diejenigen Kunden am besten bedient, die am lautesten schreien. Viele Firmen haben gar keinen Überblick über das 20/80-Verhältnis. Darüber hinaus ist die Segmentierung nach unterschiedlichen Märkten, Firmengrößen oder anderen relevanten Kriterien die Voraussetzung, um die verschiedenen Kundengruppen selektiv anzusprechen.
3. Digitaler Vertrieb: In der stärkeren Nutzung digitaler Kanäle liegt ein enormes Geschäftspotenzial. Exemplarisch genannt seien Social Selling, SEO-optimierte Websites und E-Mail-Marketingkampagnen, alles nicht neu, aber häufig vernachlässigt. Für gewerbliche Produkte und Dienstleistungen ist LinkedIn geradezu ein Paradies. Doch erstaunlich wenige Unternehmen haben bislang den Weg in dieses Paradies gefunden. Die systematische Nutzung sozialer Netzwerke kann sich schon binnen weniger Wochen auszahlen, weiß der Interim Manager aus zahlreichen Kundenprojekten.
4. CRM: Die Nutzung eines CRM-Systems für das Customer Relationship Management sollte eine Selbstverständlichkeit darstellen, doch häufig wüerden diese Systeme gar nicht oder nur unzureichend genutzt. Bei vielen Firmen fungiert CRM lediglich als Kundendatenbank, um Kontakte zu speichern, aber das Potenzial der Systeme, um Leads zu verfolgen und Daten zu analysieren, wird sträflich vernachlässigt.
5. Zielgerichtetes Lead-Management: Das Einmaleins des Vertriebs wird oftmals missachtet. Dazu gehören: Zielgruppen klar definieren, vielversprechende Leads identifizieren und gezielt auf deren Bedarf eingehen. Doch oftmals werden Standardangebote an alle in der Datenbank breit gestreut in der vagen Hoffnung, dass aus diesem Gießkannenprinzip ein paar Pflänzchen erwachsen werden.
6. Effektive Vertriebsziele: Klare, messbare und erreichbare Vertriebsziele definieren, die regelmäßig überprüft und angepasst werden können, ist das A und O für jede systematische Kundengewinnung. Sales ist keine Rocket Science, aber seine Hausaufgaben muss man schon machen, um erfolgreich zu sein.
7. Engere Integration: Die Zusammenarbeit zwischen Vertrieb, Marketing und Kundenservice ist in den meisten Unternehmen, in die ich geholt werden, gelinde gesagt verbesserungswürdig. Neben einer konsistenten Kundenansprache muss vor allem ein reibungsloser Informationsfluss zwischen den Abteilungen gewährleistet sein. Wenn der Kunde während eines problematischen Reparaturfalls ein Standardangebot in fröhlichem Marketingkauderwelsch erhält, vergräzt ihn das in der Regel mehr als dass es ihn ermuntert“, um ein Beispiel zu geben, das öfter vorkommt als man meinen möchte.
8. Kundenzufriedenheit: Gute Unternehmen holen sich systematisch Feedback von ihren Kunden ein und messen deren Zufriedenheit regelmäßig. Langjährige Bestandskunden werden häufig vernachlässigt, ohne dass die bröckelnde Loyalität auffällt Es gibt viele Stories, wie die Geschäftsleitung aus allen Wolken fällt, wenn ein langjähriger Stammkunde der Firma ‚urplötzlich‘ den Rücken kehrt, obwohl dies lange absehbar gewesen wäre, wenn man nur hingeschaut hätte. Eine langfristige After-Sales-Strategie ist mindestens so wichtig wie die Neukundenakquise.
9. Technologie nutzen: Die Bedeutung von Künstlicher Intelligenz im Vertrieb wird weitgehend unterschätzt. Schon heute lässt sich KI etwa zur Analyse von Kundendaten sinnvoll einsetzen. Dazu bedarf es keiner firmenweiten KI-Strategie, sondern des Einsatzes von einem oder zwei KI-Tools gezielt im Vertrieb. Einige CRM-Systeme sind heute schon mit rudimentären, aber sinnvollen KI-Funktionen ausgerüstet. 2025 wird das Jahr der KI im Vertrieb werden. Unternehmen, die diesen Anschluss verpassen, werden über kurz oder lang zu den Verlierern in ihrem Markt gehören.
10. Schulungen: Regelmäßige Schulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen für das Vertriebsteam sollten eine Selbstverständlichkeit sein. Die Einführung neuer Technologien, die zunehmende Nutzung digitaler Strukturen und die anstehenden Produktivitätsvorteile durch Künstliche Intelligenz lassen sich nur mit entsprechender Schulung der Belegschaft nutzen. Indes besteht bei vielen Firmen auch ein erheblicher Schulungsbedarf bei Grundlagen wie den Verkaufstechniken und den Kommunikationsfähigkeiten des Vertriebsteams.
Beim Business Development sparen ist grundfalsch
Statt nur über das düstere wirtschaftliche Umfeld zu klagen, sind die Unternehmen gut beraten, sich mit systematischem Business Development zügig mehr Spielräume zu verschaffen. Viele Firmen beziehen die Vertriebsorganisation in ihre Sparprogramme ein – das halte ich für grundfalsch. Neue Kunden von der eigenen Produktpalette zu überzeugen ist der beste Weg aus dem Tal der Tränen, in dem sich viele Unternehmen derzeit befinden. Häufig ist die Geschäftsleitung überrascht, wenn ich neue Vertriebswege aufzeige.
Dank des hohen heutigen Technologieniveaus ist die Erschließung neuer Kundengruppen so einfach wie nie zuvor“ Als Beispiel sei die Expansion in ausländische Märkte allein über Online-Plattformen genannt. Der frühe notwendige Aufbau eines Vertriebsnetzes in einem anderen Land entfällt, die Übersetzung übernimmt die KI und über soziale Netzwerke lassen sich Neukunden beinahe überall auf der Welt finden. Das ist sicherlich etwas vereinfach, aber im Kern zutreffend. Die deutsche Wirtschaft besitzt nach wie vor einen sehr guten Ruf im Ausland – das gilt es zu nutzen!
* Eckhart Hilgenstock zählt zu den meistgefragten Interim Managern in Deutschland. Unternehmen holen ihn regelmäßig als Führungskraft auf Zeit in den Betrieb, wenn es um die Themen profitables Wachstum und Vertrieb sowie Digitalisierung und den KI-Einsatz in Organisationen geht. „Eckhart Hilgenstock gilt als Vorzeigetyp der Branche“, schrieb die WirtschaftsWoche über ihn. Seine Erfahrungen hat er u.a. gesammelt als General Manager EMEA bei Microsoft sowie zuvor als Managing Director DACH bei Lotus Development und IBM Deutschland. Eckhart Hilgenstock ist Mitglied im Diplomatic Council, einer globalen Denkfabrik mit Beraterstatus bei den Vereinten Nationen (UN).