Thought Leadership
Von Sonja D‘Angelo, Diplomatic Council Head of Mission Switzerland, Geschäftsführerin Sapiens Consulting
Wir ergreifen vorbeugende Maßnahmen vor Grippe, informieren uns bei Kapitalanlagen detailliert über mögliche Risiken - doch bei unserem Unternehmen gehen wir in der Regel davon aus, den Erfolg selbst in der Hand zu haben und von äußeren Einflüssen weitgehend unabhängig zu sein. Das ist grundlegend falsch! Ob es die Digitalisierung in allen Branchen, der Wandel zur Elektromobilität mit heftigen Auswirkungen auf ganze Industriezweige oder schlichtweg der Coronavirus ist - es gibt Entwicklungen, die wir als Unternehmer nicht beeinflussen können. Umso wichtiger ist es, nicht ungeplant in solche Entwicklungen hineinzutappen, sondern sich auf eine mögliche Rezession vorzubereiten.
Allein die seit Jahren anhaltende Niedrigzinsphase bedeutet auf einen wirtschaftlichen Abschwung hin. Wir beobachten nämlich schon seit längerem eine deutlich inverse Zinsstruktur. Eine inverse Zinsstruktur liegt dann vor, wenn am Kapitalmarkt die langfristigen Zinsen unter den kurzfristigen liegen. Also für Anleger lohnt es sich eher in kurzfristige Papier einzusteigen, weil diese mehr Zinsen abwerfen als langfristige. Normalerweise verhält es sich genau umgekehrt. Empirisch betrachtet gilt diese Situation als Vorbote einer wirtschaftlichen Tiefphase. Hinzu kommt natürlich das Risiko unerwarteter, aber eben nicht unmöglicher Fälle wie aktuelle die Coronavirs-Epidemie.
Obgleich niemand die Zukunft mit Gewissheit vorhersagen kann, lässt sich ein Unternehmen sehr wohl auf eine Rezession vorbereiten. Bei einer traditionellen Planung werden die Annahmen für die Zukunft als Extrapolation aus der Vergangenheit hergeleitet. Dabei wird unterstellt, dass sich Entwicklungen aus der früheren Jahren mehr oder minder fortsetzen und Maßnahmen künftig in etwa dieselben Auswirkungen haben werden wie in den Vorjahren. Die Vorbereitung auf eine Rezession bedarf indes eine genau umgekehrte Planung: Man entwickelt Zukunftsszenarien und leitet aus den Annahmen für die Zukunft die Planung für die Gegenwart ab. Hierbei ist es in der Regel sinnvoll, unterschiedliche Szenarien zu entwerfen, deren Wahrscheinlichkeit zu bewerten und daraus Maßnahmen abzuleiten, wie sich ein Unternehmen am besten aufstellen sollte, um für diese verschiedenen Szenarien gerüstet zu sein.
Nehmen wir nur zwei Beispiele. Es wäre für die deutsche Automobilindustrie sehr wohl möglich gewesen, in ihre Planung Szenarien einzubeziehen, in denen Batteriegetriebene Fahrzeuge zur Selbstverständlichkeit werden, die Digitalkonzerne ihre Kompetenz auf den Automobilsektor ausdehnen und neue Geschäftsmodelle entstehen, in denen die Menschen Autos nutzen, aber nicht mehr kaufen. Statt dessen hat die Branche die Vergangenheit immer weiter fortgeschrieben, die Motoren und Karossen immer mehr verfeinert, eine weitgehend unflektierte Weiter-so-Strategie verfolgt. Und der Coronavirus mag zwar kaum vorhersagbar gewesen sein, aber die Frage, was es für die Lieferkette und die Geschäftsentwicklung bedeutet, wenn China ausfällt, sollte bei jedem internationalen Unternehmen eine Rolle gespielt haben. Schließlich hat auch keine Firma mit Verstand an der Spitze seine gesamte IT in nur einem einzigen Rechenzentrum in Betrieb, weil das Szenario des Totalausfalls eines IT-Zentrums durchdacht wurde.
Zu einer Szenarioanalyse gehört es, potenzielle Einflussfaktoren frühzeitig zu erkennen und zu bewerten. Man muss Umfeldentwicklungen einschätzen, zeitlich zuordnen und auf ihre Plausibilität hin prüfen. Dadurch gewinnt man Erkenntnisse über Chancen und Risiken, aus denen sich Erfolgs- und Misserfolgspotenziale ableiten lassen. Schließlich muss man daraus Notwendigkeiten für Veränderungen schlussfolgern, Ansatzpunkte für wichtige Investitionen und Neuausrichtungen gewinnen und das Change Management darauf abstellen.
Der Unterschied zwischen Erfolg und Misserfolg liegt häufig darin, ob das Topmanagement aus der Zukunft heraus plant („was wäre wenn und wie wahrscheinlich ist das?“) oder lediglich die Vergangenheit im Weiter-so-Takt fortschreibt. Ob Beratungsbranche oder Gesundheitswesen, Telekommunikation oder IT, Industrie, Handel oder Logistik - jeder dieser Branchen wird in Zukunft GANZ ANDERS sein als die Extrapolation der Vergangenheit. Soviel ist gewiss!