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Flüchtlingspakt
Flüchtlingspakt mit der Türkei

Die aktuelle Lage an der türkisch-griechischen Grenzen geht zurück auf ein Abkommen zwischen der EU und der Türkei, das am 18. März 2016 unterzeichnet wurde. Die auch als „Flüchtlingsdeal“ oder „Flüchtlingspakt“ bezeichnete Vereinbarung dient dazu, den Flüchtlingsstrom über die Türkei in die Europäische Union zu stoppen. Im Wesentlichen ist vereinbart:

Der Pakt und die Folgen

Alle neuen „irregulären Migranten“ – das Wort „illegal“ wird der UNO-Sprachdoktrin folgend zunehmend durch „irregulär“ ersetzt –, die ab dem 20. März 2016 auf den griechischen Inseln ankommen und die kein Asyl beantragen oder deren Antrag als unbegründet oder unzulässig abgelehnt wird, werden auf Kos- ten der Europäischen Union in die Türkei zurückgebracht. Bei der Abschiebung sollen die Bestimmungen des Völkerrechts und des EU-Rechts in vollem Umfang eingehalten werden. Nach Registrierung der Migranten werden ihre Asylanträge auf Einzelfallbasis bearbeitet; jedwede Art von Kollektivausweisung wird ausgeschlossen.

Für jeden Syrer, der von den griechischen Inseln in die Türkei zurückgebracht wird, soll ein anderer syrischer Flüchtling aus der Türkei in die EU umgesiedelt werden, lautet die sogenannte 1:1-Neuansiedlungsregelung. Zur Neuansiedlung von international Schutzsuchenden verpflichten sich bereits am 20. Juli 2015 mehrere EU-Länder. Die daraus verbliebenen 18.000 Plätze sollen nun für Neuansiedlungen von Migranten aus der Türkei zur Verfügung gestellt werden. Zusätzlicher Bedarf soll mit einer ähnlichen freiwilligen Vereinbarung für bis zu 54.000 weitere Personen gedeckt werden.

Die Türkei wird alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um neue See- oder Landwege für die irreguläre Migration aus der Türkei in die EU zu verhindern.

Nachdem die unkontrollierten Grenzübertritte zwischen der Türkei und der EU verhindert oder erheblich reduziert werden, wird eine freiwillige Aufnahme syrischer Flüchtlinge aus humanitären Gründen aktiviert.

Die Einhaltung des Zeitplans zur Visa-Liberalisierung wird im Hinblick auf die Aufhebung der Visumspflicht für türkische Bürger bis Ende Juni 2016 angestrebt.

Die EU wird in enger Zusammenarbeit mit der Türkei die Auszahlung der bereits im Aktionsplan vom 30. November 2015 im Rahmen der „Fazilität für Flüchtlinge in der Türkei“ zugewiesenen 3 Milliarden Euro beschleunigen. Mit den Fazilitätsmitteln sollen konkrete Projekte für Flüchtlinge, insbesondere Projekte in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Infrastruktur, Lebensmittelversorgung und sonstige Lebenshaltungskosten finanziert werden. Sobald dieses Geld vollständig ausgegeben worden ist, sollen weitere 3 Milliarden Euro bis Ende 2018 fließen. Die Milliardenzahlungen bringen dem „Deal“ den Ruf ein, die EU wolle sich mit Geld an die Türkei vom Flüchtlingsstrom freikaufen. Der Vorwurf wiegt umso stärker, als die Türkei zu dieser Zeit schon länger dabei ist, sich von rechtsstaatlichen Prinzipien zu verabschieden.

Die EU und die Türkei

Die EU und die Türkei begrüßen die laufenden Vorbereitungen zur Modernisierung der Zollunion.

Der Beitrittsprozess der Türkei zur Europäischen Union wird wieder belebt, indem während der niederländischen Präsidentschaft des EU-Rats das Kapitel 33 (Finanzen- und Haushaltsbestimmungen) eröffnet wird. Die notwendigen vorbereitenden Arbeiten für die Eröffnung weiterer Kapitel sollen beschleunigt fortgesetzt werden. Dieser Aspekt löst scharfe Kritik aus. Der Vorwurf: Die Türkei setzt Europa unter Druck, um die Aufnahme in die EU zu erzwingen oder jedenfalls zu beschleunigen. Das ist natürlich Wasser auf die Mühlen derjenigen Mahner, die eine Erweiterung der Europäischen Union um die Türkei grundsätzlich ablehnen, weil sie die Türkei einem anderen nicht-europäischen Kulturkreis zurechnen.

Die EU und die Türkei arbeiten zusammen, um die humanitären Bedingungen in Syrien zu verbessern.

Der Türkei werden für ihre Mitwirkung bei der Abwehr von Asylanten neben den politischen Zugeständnissen also Zahlungen von insgesamt 6 Milliarden Euro in Aussicht gestellt. Das Geld soll allerdings nicht an die Regierung fließen, sondern direkt in Projekte zur Betreuung und Versorgung von Millionen syrischer Flüchtlinge, die das Land aufnimmt. Damit will sich die EU einerseits die Flüchtlingsströme vom Leib halten und andererseits eine gewisse Distanz zum türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdoğan signalisieren, dessen anti-demokratische Regierungspolitik nach dem gescheiterten Putsch im Sommer 2016 immer stärker zunimmt. Vor diesem Hintergrund kürzt die EU auch die Hilfen mit Blick auf einen möglichen EU- Beitritt Ankaras. Pläne, die Zollunion mit dem Land zu modernisieren und Visafreiheit für türkische Bürger zu gewähren, werden ebenfalls auf Eis gelegt.

Mit mehr als 3,5 Millionen aufgenommenen Syrern geht die Türkei ins Jahr 2019. Die EU sorgt mit hohen Zahlungen dafür, dass die Flüchtlinge nicht in Richtung Westen weitergeschleust werden, sondern in der Türkei verbleiben bis zur Rückführung nach Syrien. Bis Ende 2018 sind etwa 260.000 Syrer in ihre Heimat zurückgekehrt. Tatsächlich trägt die Türkei eine weit höhere Last als alle europäischen Länder – es ist das laut Report der Vereinten Nationen weltweit größte Aufnahmeland für Migranten. Allein 2018 lebten in der Türkei beinahe vier Millionen Flüchtlinge. Das sind die offiziellen Angaben. Inoffiziell dürften noch einmal deutlich mehr Menschen aus dem Kriegsgebiet ins Land geflohen sein.

Rückgang seit 2016

Für Deutschland führte das Abkommen zu einem Rückgang der Belastung. 2015, zu Beginn der Krise, registrierte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf), Die meisten kamen aus Syrien, viele aus dem Irak und Afghanistan. Seit dem EU-Türkei-Abkommen im März 2016 ging die Zahl der Flüchtlinge, die über Griechenland und die Balkanroute in Richtung Deutschland reisten, deutlich zurück. 2017 beantragten noch 222.683 Personen beim Bamf Asyl, 2018 noch 185.000.  2019 fiel die Zahl nochmals weiter auf 166.000.

Kampf um Idlib

Doch seit die Kämpfe um die syrische Stadt Idlib zwischen dem türkischen Militär und den Truppen des syrischen Diktators Assad und dessen Verbündeten Russland eskaliert sind, befinden sich laut den Vereinten Nationen mehrere Hunderttausend Menschen auf der Flucht. Angesichts des wachsenden Unmuts der türkischen Bevölkerung über erneute Aufnahmen schickt die türkische Regierung die neuen Flüchtlinge weiter in Richtung EU.

In diesem Konflikt kommt einmal mehr die uralte Weisheit zum Tragen: Bei einem Pakt kommt es nicht nur darauf an, was drin steht, sondern auch, mit dem man ihn schließt. Wer „Faust“ gelesen hat, wußte das schon vorher. Alle anderen lernen es heute.