Thought Leadership

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Fliegendes Auto
Disruption überall

Wir stehen am Beginn einer Welle der Umwälzungen, die deutlich größer sein wird als die industrielle Revolution. Statt um größer, weiter oder schneller geht es um „grundlegend anders“. Es geht um „disruptive Veränderungen“, die alles auf den Kopf stellen, was vorher galt. Wir werden alle massiv davon betroffen sein, weil die Disruption unser Leben grundlegend ändern wird. An vielen Stellen ist diese Entwicklungen längst eingetreten, an einigen steht sie uns unmittelbar bevor.

 

Derzeit stellt derzeit die „Coronavirus-Disruption“ alles in den Schatten, weil sie ein Horrorszenario heraufbeschwört, das man bislang nur aus Hollywoodfilmen kannte. Tatsächlich sind die disruptiven Entwicklungen jedoch an allen Ecken und Enden zu verzeichnen.

Fliegende Autos und Roboter

Wir alle nennen mittlerweile ein Smartphone unser eigen. Nur die wenigsten von uns können sich überhaupt noch erinnern, welche Freudentänze wir aufgeführt haben, als uns vor beinahe 40 Jahren erstmals das Mobiltelefon, kurz Handy, das Leben erleichtert hat. Damals ging es lediglich darum, einen einigermaßen handlichen Apparat bei sich zu tragen, mit dem man unterwegs telefonieren konnte - nicht mehr. Noch weniger mögen sich daran erinnern, als das Telefon fest auf dem Schreibtisch im Büro oder der Anrichte zu Hause stand. Wer weiß eigentlich noch, wie das Leben damals ganz ohne Internet funktioniert hat? Doch das ist nur eine Seite, wenngleich eine maßgebliche, die technische Entwicklung. Man muss kein Prophet sein, um vorauszusagen: der technische Fortschritt wird nicht stoppen, wird sich nicht verlangsamen, sondern er wird sich beschleunigen in einem Maße, das für uns schwer fassbar ist. Fliegende Autos und Roboter, die sich wie Menschen benehmen, werden in Zukunft unser Stadtbild ebenso selbstverständlich beleben wie heute Menschen, die ihre Augen kaum vom Minidisplays ihres Smartphones nehmen können.

Welt ohne Bargeld

Doch es ist eben nicht nur die Technologie, die die Menschheit vorantreibt. Es geht beispielsweise auch um unser Eigentum, unser Geld. Es kann keine Zweifel daran geben, dass das Bargeld in der heutigen Form sein Ende finden wird. Als 1950 die erste Kreditkarte aufkam, war es zunächst eine Kuriosität, begrenzt auf eine kleine Anzahl von Menschen. Heute sind mehr allein in Deutschland weit mehr als 30 Millionen Kreditkarten  im Umlauf. Doch die Kreditkarte nähert sich längst ihrem Ende: Das Bezahlen mit dem Smartphone greift um sich. Diese Entwicklung wird sich fortsetzen und es steht außer Frage, dass das Bargeld über kurz oder lang völlig abgeschafft wird. Das muss uns nicht zwangsläufig Angst und Bange machen; schließlich hat das Papiergeld, das wir nutzen, schon lange keinen inneren Wert mehr. Es lebt einzig und allein von dem Vertrauen, das ein Schein eine bestimmte Kaufkraft besitzt. Dennoch wird es für die meisten von uns eine erhebliche emotionale Umstellung bedeuten, wenn wir nicht mehr mit Münzen klappern und Papierscheinen rascheln können. Die wahre Disruption findet indes im Hintergrund statt: Sobald wir mit reinem Digitalgeld bezahlen, kann und wird der Staat ausnahmslose jeden unserer Bezahlvorgänge überwachen. Die Abschaffung des Bargelds markiert zugleich das Ende der Anonymität beim Bezahlen und natürlich auch das Ende des Schwarzgelds.

Auto adé?

Während sich der technische Fortschritt und die Abschaffung des Bargelds sehr direkt auf den Alltags jedes einzelnen von uns auswirken, gibt es andere Entwicklungen, die wir zunächst eher als globales Phänomen, von dem wir in den Nachrichten hören, die uns aber nicht selbst unmittelbar getreffen, betrachtet haben. Dazu gehört der Klimawandel. Die UNO, der Klimarat, Wissenschaftler... viele zunächst weit entfernte Institutionen haben sich damit beschäftigt. Viele von uns hat es wie ein Blitzschlag getroffen, als der Klimawandel plötzlich in unserem Alltag ankam. Fahrverbote für Diesel war der Anfang, der erzwungene Umstieg auf Elektromobilität die Fortsetzung. Stand die deutsche Automobilindustrie seit 2015 am Pranger wegen ihrer Dieselmanipulationen, so steht seit 2020 viel weitergehende die Frage nach der Zukunftsfähigkeit des deutschen Autohersteller im Raum. Vergleich mit Nokia kommt beinahe zwangsläufig auf: Einst der unumstrittene Platzhirsch im Handymarkt, wurde Nokia in weniger als einem Jahrzehnt von Apples iPhone und Googles Android-Smartphones sagen wir es deutlich „plattgemacht“. Sind Daimler, BMW und VW die neuen Nokias und die amerikanische Tesla und die chinesische Byton die neuen Apples und Googles?

Dabei ist die Frage, welche Autos wir fahren, beinahe schon zweitrangig. An erster Stelle steht die Angst um die Vernichtung der deutschen Automobilindustrie, eines Herzstücks unserer Industrie. Eine halbe Million Arbeitsplätze stehen kurz- bis mittelfristig zur Disposition; längerfristig entfallen wahrscheinlich weit mehr als eine Million Jobs.

Zukunft der Banken

Doch es ist nicht die Autobranche: Die Digitalisierung wird Millionen von Arbeitsplätzen vernichten. Lesen konnte man das schon seit über einem Jahrzehnt. Aber seit den 2020ern schlägt es in Realität um. Jeder Arbeitsplatz, bei dem ein Mensch vor und ein anderer hinter dem Computer sitzt, wird wegfallen. Sachbearbeiter werden entbehrlich. Ganze Branchen wie etwa das Versicherungswesen gehören zu den Pionieren der Jobvernichtung durch Digitalisierung. Für den „Normalbürger“ deutlicher wird diese Entwicklung beim Niedergang des Fillialbanksystems. Man muss kein Prophet sein um vorherzusagen, dass es künftig keine Bankfilialen mehr geben wird. Doch weit darüber hinausgehend stellt sich die Frage nach der Zukunft der Banken, wie wir sie heute kennen, überhaupt. Mutmaßlich werden sie zu weiten Teilen zerrieben zwischen Fintech-Startups, die mit innovativen Technologien die Branche von Grund auf revolutionieren und den Digitalkonzernen, die bei ihrer Suche nach immer neuen Betätigungsfeldern den Finanzdienstleistungssektor mit Sicherheit über kurz oder lang entdecken werden. Die Vorstellung der Apple Kreditkarte 2019 war nur der allererste Vorbote einer Welle, die die klassischen Banken weitgehend hinwegfegen wird.

Neues Gesundheitswesen

Auch das Gesundheitswesen steht vor einem historischen Wandel, nämlich dem Systemumbau zur  Gewinnorientierung. Doc Morris hatte schon in 2010ern den Apotheken die Apokalypse zumindest vor Augen führt. Als nächstes sind die Ärzte dran. Bereits seit den späten 2010ern haben internationale Finanzinvestoren begonnen, sukzessive Arztpraxen aufzukaufen und sie in Medizinische Versorgungszentren umzuwandeln. Mit Eintritt in die 2020er Jahre arbeiteten bereits 18.000 der ingesamt 94.000 Fachärzte, die Kassenpatienten in Deutschland versorgen, als Angestellte in mehr als 4000 solcher Zentren. Es ist abzusehen, dass mit dem nächsten Generationswechsel immer mehr Ärzte ihre Praxis an einen Investor verkaufen als in der Familie oder an einen jungen Kollegen weiterzugeben. Der Verkauf an Investoren ist schlichtweg lukrativer. Die neuen Herrscher im Gesundheitswesen legen vor allem Wert auf Profitabilität und der Systemumbau zu einem gewerblich orientierten Gesundheitswesen wird unabwendbar sein. Das muss nicht zwangsläufig zu einer schlechteren ärztlichen Versorgung führen, aber zu einer anderen Art. Es ist wie bei der Umstellung vom Tante-Emma-Laden zum Supermarkt im Einzelhandel vor Jahrzehnten. Wir haben uns daran gewöhnt, aber die Umstellung war gewaltigt. Hinzu kommt im medizinischen Bereich der „Doktor am Handgelenk“. Smartwatches werden in immer stärkerem Maße unsere Vitaldaten überwachen und die Daten an die Gesundheitszentren übermitteln. Das bisherige Konzept, dass man bestenfalls alle paar Monate zum Arzt geht zur Vorsorge oder gar nur, wenn man krank ist, wird auf dem Müllhaufen der Geschichte landen. Es wird abgelöst von einem Konzept, bei dem man durch Smartwatches und implantierte Chips im Körper ständig medizinisch überwacht. Das stellt eine neue und durchaus begrüßenswerte Form der medizinischen Versorgung dar, aber es handelt sich eben auch um fundamentale Umstellung.

Spannung und Angst

Man man es als spannend empfinden, in dieser disruptiven Zeit zu leben. Doch bei den meisten Menschen ruft es vor allem eines hervor: Angst vor Veränderungen und vor der Ungewissheit der Zukunft. Viele Menschen ahnen, dass es nicht einfach so weitergehen wird.

Das hängt auch damit zusammen, dass das Zutrauen in die politische Führung, die anstehenden Umwälzungen in sozusagen geordnete Bahnen zu lenken, seit Jahren am Schwinden ist. Die politischen Parteien wirken im Angesicht der Disruption an allen Ecken geradezu hilflos. In wie scheint uralten ideologischen Denkweisen gefangen versuchen sie die Zukunft in Parteiprogrammen festzulegen, als ob es in ihrer Hand läge, wie wir künftig leben. Doch immer mehr Menschen haben das Vertrauen in die Politik längst verloren und sie werden es auch auf absehbare Zeit nicht mehr zurückgewinnen. Die klassischen politischen Parteien werden rapide weiter an Bedeutung verlieren, Bewegungen aus der Gesellschaft heraus werden den Diskurs immer stärker bestimmen.

Es ist sicherlich kein Zufall, dass im Lichte dieser Entwicklung der staatstragende Auftrag der Medien im Untergang begriffen ist.„Social Media“ hat längst übernommen, wobei die Übersetzung „Soziale Medien“ so wenig zutreffend ist in den 1980er Jahren der „Personal Computer“ als Personalcomputer zu übersetzen war.