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Kampf ums All
Kampf ums All

Die Ökonomisierung und die Militarisierung des Weltalls stehen im Fokus des neuen Buchs „Kampf ums All“ (ISBN 978-3-98674-014-6), das in der UNO-Denkfabrik Diplomatic Council erschienen ist. Auf 260 Seiten wird erklärt, „wie Jeff Bezos, Richard Branson und Elon Musk den Weltraum erobern und welche Rolle die NASA, die ESA, Russland und China“ dabei spielen, so der ungewöhnlich lange Untertitel. Tatsächlich beleuchtet Autor Andreas Dripke beinahe alle Aspekte der Weltraumfahrt, von den ersten Anfängen bis zur geplanten Besiedlung des Mars.

Dabei folgt das Buch einer These: Die USA wollen den Weltraum mit Hilfe amerikanischer Unternehmen für sich vereinnahmen, weil sie ihn strategisch, wirtschaftlich und militärisch als überaus wichtig für ihre künftige Vormachtstellung auf der Erde und im All einstufen. Hierzu haben sie unter dem Namen Artemis Accords ein Regelwerk für die moderne Weltraumfahrt erarbeitet, von dem sie erwarten, dass es von der internationalen Staatengemeinschaft wie selbstverständlich akzeptiert wird. Länder und Unternehmen, die sich dem US-Diktat nicht unterwerfen, werden vom Artemis-Programm, dem amerikanischen Weg zum Mond, zum Mars und darüber hinaus, ausgeschlossen. China und Russland sind per se außen vor und haben als Reaktion bereits eine engere Zusammenarbeit im Weltraum vereinbart. Das US-Regelwerk verstößt an entscheidenden Stellen gegen den Sinn und Wortlaut des Weltraumvertrags der Vereinten Nationen. So sieht Artemis Accords die Inbesitznahme und Verteidigung von Gebieten auf dem Mond oder dem Mars vor, was im UNO-Vertragswerk ausdrücklich abgelehnt wird.

Die US-Regierung macht die Regeln, die US-Wirtschaft das Geschäft

Das Buch zieht zum Vorgehen der USA im All zwei Vergleiche: mit der Eroberung des amerikanischen Kontinents durch Siedler aus Europa seit dem 17. Jahrhundert und mit der Dominanz der US-Digitalkonzerne in der modernen Computerwelt. Der Autor geht von einer symbiotischen Entwicklung bei der Eroberung des Weltraums aus: Die US-Regierung gewährt die Rahmenbedingungen und den militärischen Schutz, während sich die amerikanische Wirtschaft daran macht, die Ressourcen im All unter ihre Fittiche und neue Geschäfts­modelle wie den Weltraumtourismus auf den Weg zu bringen.

Elon Musks Weltraumfirmen SpaceX und Starlink stehen demnach exemplarisch für die unternehmerische Seite dieser „Public-Private-Partnership“. Dies folgt der Erkenntnis, dass Unternehmen schneller, flexibler und kostenbewusster agieren als nationale Weltraumbehörden wie etwa die NASA. Für die Besiedlung des Weltraums sei es von entscheidender Bedeutung, möglichst große Nutzlasten zu minimalen Kosten ins All befördern zu können. SpaceX habe diesbezüglich bereits heute mit der Rakete Falcon Heavy die Nase vorn und sei dabei, sich mit dem geplanten Raketenraumschiff Starship die Pole-Position für Missionen und Versorgungs­flüge in Richtung Mars zu sichern. Das Starship zeichnet sich nicht nur durch hohe Nutzlasten von über 100 Tonnen aus, sondern vor allem durch seine Wiederverwendbarkeit als Schlüssel zur Wirtschaftlichkeit.

Als ernsthafter Konkurrent ums All wird in dem Buch Jeff Bezos eingestuft. Während Musk seine Pläne häufig schon Jahre vorher lautstark ankündigt, geht Bezos erst an die Öffentlichkeit, wenn alles fix und fertig funktioniert. Doch die Visionen sind ähnlich gewaltig. Während Musk den Mars besiedeln will, schwärmt Bezos von 26.000 Kilometern langen zylindrischen Raumstationen, in denen gut eine Million Menschen Platz finden könnten (Zum Vergleich: China hat mit den Planungen für eine Raumstation mit gerade einmal einem Kilometer Länge begonnen.) Die Realisierung der Bezos-Station wird um 2075 herum angestrebt. Deutlich vorher soll Bezos’ Projekt Kuiper Realität werden. Es handelt sich dabei um einen mit Starlink vergleichbaren Satellitengürtel rund um die Erde zur Bereitstellung eines weltweiten Breitband-Internetzugangs.

Bescheidene Rolle für Europa

Die Rolle Europas in der Weltraumfahrt wird in dem Buch als bescheiden eingestuft. Ohne einen eigenen Weltraumbahnhof sei man auf amerikanische Hilfe angewiesen, zumal die zuvor genutzten russischen Startgelegenheiten mit dem Ukrainekrieg weggefallen sind.

Immerhin gibt es viele Marktnischen, in denen die europäische Weltraumfahrt Fuß fassen könnte. So will die ESA das Schrottsammeln im All als „neuen kommerziellen Sektor der Raumfahrt­industrie ent­­wickeln“. Schon heute umkreisen rund eine Million Brocken, die einen Zentimeter oder mehr messen, und etwa 5.000 Schrottobjekte mit einer Größe von mindestens einem Meter die Erde. Neben dem Schrottsammeln gilt auch der Start von Kleinraketen zur Beförderung von Kleinstsatelliten als lukrative Nische für europäische Weltraumfirmen. In Planung ist sogar ein Weltraumbahnhof in der Nordsee für dieses im wahrsten Sinne des Wortes kleinteilige Geschäft. Im Vergleich zu den hochfliegenden US-Plänen nehmen sich die europäischen Nischen indes bescheiden aus.

Der seit 2021 amtierende ESA-Chef Josef Aschbacher gestand bereits ein, dass Europa im Raketenbereich ins „Hintertreffen“ geraten sei. Vor allem privatwirtschaftliche US-Unternehmen wie SpaceX machten der europäischen Raumfahrt massive Konkurrenz. Die US-Raumfahrt­behörde NASA habe private Unternehmen – anders als in Europa – sehr gefördert. Ob dieser Vorsprung überhaupt noch aufzuholen sei, steht in den Sternen, gibt sich das Buch skeptisch. Wahrscheinlich wird die europäische Raumfahrt eher zu einem „Anhängsel“ der US-Aktivitäten verkümmern, wobei die Abhängigkeit mit Worthülsen wie „Partnerschaft“ verbrämt wird.

Absoluter Machtanspruch der USA auf das Weltall

Als Beleg für den „absoluten Machtanspruch der USA auf das Weltall“ wird in dem Buch unter anderem die Gründung der US Space Force angeführt. Die Angehörigen der Weltraumstreit­kräfte, die Wächter (englisch: Guardians), sollen ab 2025 das Gebiet zwischen Erde und Mond, den sogenannten zislunaren Raum, lückenlos überwachen. Dies kommt einer Ausweitung der Reichweite gegenüber der heutigen Überwachung durch geostationäre Satelliten etwa um das Tausendfache gleich. Bereits 2021 stellte das westliche Militärbündnis NATO klar, dass Angriffe im All, etwa auf Satelliten eines Landes, den Bündnisfall aus­lösen, also als Attacke auf alle im Bündnis zusammengeschlossen Staaten gewertet wird.