Thought Leadership

Von DC Mitglied Harald Müller*
Das Jahr 2025 ist noch nicht einmal zur Hälfte vorüber und die deutsche Wirtschaft hat bereits mehr als 100.000 Stellenstreichungen angekündigt. Allein bei Volkswagen sind ab Juli durch das Ende der Jobgarantie bis zu 35.000 Stellen gefährdet. Nicht alle Entlassungen sind schon für dieses Jahr vorgesehen, aber ist es wirklich tröstlich, wenn diese Streichungen erst im nächsten oder übernächsten Jahr stattfinden? Dabei ist zu bedenken, dass 2024 schon bereits knapp 70.000 Industriearbeitsplätze in Deutschland verlorengegangen sind.
Neben Volkswagen gibt es zahlreiche weitere ankündigte Massenentlassungen: Deutsche Bahn (Abbau von 30.000 Stellen), ZF Friedrichshafen (bis zu 14.000 Stellen), Thyssenkrupp (11.000 Stellen, davon 5.000 direkt und 6.000 durch Auslagerung), Audi (7.500 Stellen), Siemens (6.000 Stellen weltweit, davon 2.850 in Deutschland), Commerzbank (3.300 Stellen), Porsche (3.900 Stellen), Bosch (5.000 Stellen, davon 3.800 in Deutschland), SAP (3.500 Stellen in Deutschland im Rahmen eines weltweiten Abbaus von 10.000 Arbeitsplätzen), DHL (Deutsche Post; 8.000 Stellen), Coca-Cola (über 500 Stellen in Deutschland durch Schließung von fünf Standorten), Schaeffler (4.700 Stellen weltweit, davon 2.800 in Deutschland), Ford (2.900 Stellen, vor allem im Kölner Werk), Continental (über 7.000 Stellen weltweit, davon gut ein Drittel in Deutschland), Vodafone (2.000 Stellen), Deutsche Bank (2.000 Stellen).
Zwar befinden sich viele Entlassungspläne noch in Verhandlungen bzw. werden durch Abfindungen, Vorruhestandsregelungen und andere Maßnahmen sozialverträglich gestaltet, aber am Ende sind diese Arbeitsplätze weg. Zudem gibt es viele Mittelständler, die weitgehend unbeobachtet von der Öffentlichkeit einen Jobabbau vornehmen oder schlichtweg am Standort Deutschland nicht weiter expandieren.
Ende der Spirale nach unten nicht absehbar
Es liegen aktuelle Umfragen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) vor, wonach 40 Prozent der Unternehmen noch für das laufende Jahr einen Stellenabbau planen, in der Industrie sogar 44 Prozent. Die Industrieproduktion in Deutschland ist seit 2018 rückläufig; ein Ende dieser Spirale nach unten ist nicht absehbar. Besonders energieintensive Branchen wie Chemie oder Metallbau befinden sich im freien Fall mit einem Rückgang von über acht Prozent im letzten Jahr. 2025 wird nicht besser werden, mehrmehr sind zweistellige Rückgänge zu befürchten.
Die deutsche Politik schiebt die Schuld an der wirtschaftlich desaströsen Situation in Deutschland gerne auf das vom US-Präsidenten ausgelöste Zollchaos und die geopolitischen Spannungen. Doch tatsächlich machen vor allem heimische Faktoren wie hohe Energiepreise, eine überbordende Bürokratie, hohe Steuern, der sich verschärfende Fachkräftemangel und eine wankelmütige Förderpolitik Deutschland als Investitionsstandort unattraktiv. Seit 2021 sind mehr als 300 Milliarden Euro an Investitionen aus Deutschland abgeflossen, die Summe der ausländischen Direktinvestitionen ist auf einen Tiefstand von 15 Milliarden Euro gesunken.
Kein Strukturwandel ohne Digitalkompetenz
Angesichts der offensichtlichen Deindustrialisierung des Landes kann man nur hoffen, dass Deutschland die Transformation zur Dienstleistungsgesellschaft gelingt. Für diesen Strukturwandel sind allerdings in erster Linie die Digitalkompetenz eines Landes entscheidend und damit steht es in Deutschland nicht zum besten.
Egal, ob es um Mobilfunk oder Glasfaser geht, der Ausbau hinkt hinterher. Es gibt Ecken in deutschen Großstädten, in denen man mit dem Smartphone noch nicht einmal telefonieren kann, von der Unterversorgung im ländlichen Raum ganz zu schweigen. Bei der Digitalisierung der Öffentlichen Verwaltung sind ähnlich gravierende Defizite auszumachen. Um seinen Personalausweis mit einer Online-PIN digital nutzbar zu machen, muss man im Bürgeramt persönlich vorsprechen, – um nur ein Beispiel für die mangelhafte Digitalkompetenz im Öffentlichen Sektor zu nennen. Noch gravierender als die digitalen Defizite beim Bürgerservice ist die Digitalferne in Amtsstuben, auf die die Wirtschaft angewiesen ist. Ein Beispiel hierfür sind die Bauämter. Lediglich ein Fünftel aller Kommunen in Deutschland sind in der Lage, digitale Bauanträge entgegenzunehmen. Baugenehmigungen dauern im Durchschnitt drei bis sechs Monate, in komplexen Fällen etwa bei Gewerbebauen bis zu einem Jahr. Der Breitbandausbau in Deutschland stockt auch, weil viele Bauämter mit den Genehmigungsprozesse nicht nachkommen.
Appell an die neue Bundesregierung
Es ist daher an die neue Bundesregierung zu apellieren: Die Umgestaltung unseres Landes von einer Industrie- zu einer Dienstleistungsgesellschaft wird ein langwieriger und schmerzhafter Prozess sein. Auf keinen Fall darf die industrielle Produktion hintenangestellt werden, solange nicht klar ist, ob und wie schnell diese Transformation gelingt. Vor allem aber muss der Weg für mehr Digitalisierung freigemacht werden, damit diese Entwicklung voranschreiten kann.
Das Primat des Datenschutzes bei jedem digitalen Fortschritt, die bizarr-bürokratische Regulatorik bei der Nutzung Künstlicher Intelligenz und die hohen Energiekosten, die den Bau und Betrieb von Rechenzentren in Deutschlands zunehmend unattraktiver machten, stehen der Entwicklung hin zu einer digitalen Dienstleistungsgesellschaft diametral entgegen. Es steht viel auf dem Spiel, nämlich unserer Wohlstand, unser sozialer Frieden und letztlich unsere Demokratie. Denn eine misslungene Transformation mit schweren wirtschaftliche Verwerfungen wird sicherlich schwerwiegende politische Folgen nach sich ziehen.
* Harald Müller ist Gründer und Geschäftsführer der BWA Akademie („Consulting, Coaching, Careers“). Seit über 25 Jahren ist er gemeinsam mit Astrid Orthmann als Spezialist für Personalentwicklung, Outplacement, Personalberatung und Training sowie für Arbeitsmarktprogramme wie Beschäftigtentransfer erfolgreich. Die BWA versteht sich als neutraler Vermittler zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften zum Vorteil der Arbeitnehmer. Mit Hilfe der BWA haben mehr als zehntausend Arbeitnehmer eine neue berufliche Zukunft gefunden. Das Spektrum reicht von der Begleitung von Change Management-Prozessen über Vermittlung und Coaching von Führungskräften bis hin zur Unterstützung bei der Gründung eines eigenen Unternehmens. Neben seiner Mitgliedschaft beim Diplomatic Council ist Harald Müller ist zudem Beiratsmitglied der Stiftung „Bildung und Beschäftigung“, die sich für die sozialverträgliche Bewältigung des wirtschaftlichen Strukturwandels einsetzt.
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