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Europaparlament
Mehrheitsrecht für Europa

Im Umfeld der Europawahl 2019 wird bekannt, dass die EU-Kommission auf wichtigen Feldern wie der Sozial- und Steuerpolitik das Prinzip der Einstimmigkeit aufgeben will. Bis dato hat jedes Land die Möglichkeit, etwaige Beschlüsse mit einem Veto zu verhindern. Das ist auf diesen beiden Gebieten besonders wichtig, weil die Auswirkungen auf die Länder gewaltig sein können - und von fundamentalen Unterschieden zwischen den Staaten geprägt sind. Der Begriff „Mehrheitsentscheidungen“, mit dem die EU-Kommission ihren Vorstoß bekleidet, klingt fair. Die EU-Kommission will erreichen, dass künftig neue steuerpolitische Regeln mit Zustimmung von 55 Prozent der Mitgliedstaaten verabschiedet werden, wobei diese Länder zusammen mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren müssen. Faktisch könnte dies jedoch zu einem Aufeinanderprallen der unterschiedlichen Interessen von Nord- und Südstaaten (Deutschland gehört zu den Nordstaaten, Frankreich zu den Südstaaten) führen. Solange Großbritannien in der EU verbleibt, kommen die Nordstaaten auf 39 Prozent der Bevölkerung. Neben Großbritannien und Deutschland gehören unter anderen die Niederlande und die skandinavischen Mitglieder in dieses Lager. Beinahe ebenso viel Gewicht bringen mit 38 Prozent die mediterranen Länder unter Führung Frankreichs auf die Waage. Da die EU-Verträge bei Mehrheitsentscheidungen eine Sperrminorität von 35 Prozent vorsehen, kann bislang weder der Norden noch der Süden überstimmt werden.

Bei einem Brexit geht diese Machtbalance in  der EU allerdings verloren. Denn ohne Großbritannien verfügen die nördlichen Länder nicht länger über die nötigen Stimmanteile, um europäische Vorhaben notfalls zu blockieren. Gleichzeitig wächst die Macht der Mittelmeerstaaten. Aus deutscher Sicht bringt dies die potenzielle Gefahr mit sich, dass die EU-Kommission Mehrheitsbeschlüsse fällt, die Deutschland zwar nicht verhindern kann, aber für die Deutschland maßgeblich bezahlen muss - möglicherweise große, sehr große Summen. Für eine Europawahl sind das nicht die Signale, die Lust auf Europa machen. Die Tatsache, dass die Briten an der Europawahl 2019 überhaupt noch teilnehmen, obgleich sie über kurz oder lang die Europäische Union verlassen wollen, kommt der Ernsthaftigkeit der Wahl ohnehin nicht zugute.

Geradezu absurd erscheint die Situation angesichts der Tatsache, dass ausgerechnet die neugegründete Brexit-Partei (BP) des britischen Rechtspopulisten Nigel Farage bei der Europawahl 2019 auf der Insel an erster Stelle liegt. Die Partei fordert den sofortigen Austritt Großbritanniens aus der EU. Darüber hinaus sieht die Farage als ein Vorreiter einer neuen Parteienstruktur, die zwar an der Demokratie teilhaben will, sich selbst aber weniger demokratisch aufstellt. Er sagt: „Ich habe die Partei strukturell und operativ wie ein Unternehmen aufgebaut. … Iin den meisten Parteien haben am Ende immer die Delegierten das Sagen. Das habe ich verhindert, es wird hier keine Delegierten-Ebene geben. Ich werde mich direkt mit Mitgliedern und Unterstützern über unsere Politikziele verständigen. In der westlichen Welt ist die einzige vergleichbare Partei, die mir einfällt, die Fünf-Sterne-Bewegung in Italien. Ich habe viel von Italien und noch viel mehr von den USA gelernt. Wir machen hier etwas Neues.“

Auf die Frage „Einer Untersuchung der Hansard-Society zufolge wünscht sich inzwischen eine Mehrheit der Briten einen "starken Anführer, der bereit ist, die Regeln zu brechen". Fühlen Sie sich angesprochen?“ antwortet er „Nun, ich bin zumindest dazu in der Lage, die Regeln zu beugen (lacht). Ich kann streiten, ich kann das Gravitätszentrum der öffentlichen Meinung verrücken. Ich war darin schon immer gut und bin es, glaube ich, immer noch. Wenn diese Partei erreicht, was ich für möglich halte, wird sie die britische Politik verändern.“ Es ist genau dieses Denkmodell eines starken Anführers, der die Regeln bricht, die weit über Großbritannien hinaus weltweit Schule gemacht hat, von US-Trump bis Ungarn-Orban.