Thought Leadership
Dunkle Mächte kontrollieren unsere Welt im Geheimen und nichts ist, wie es scheint. Davon sind sogenannte Verschwörungstheoretiker fest überzeugt. Verschwörungstheorien gibt es schon lange, aber mit dem Internet haben sie sich stärker ausgebreitet als je zuvor.
Was wir aus drei gelüfteten Geheimnissen lernen
Der Physiker David Robert Grimes von der Universität Oxford hat ein mathematisches Modell entwickelt, das beweisen soll, wie unwahrscheinlich Verschwörungstheorien sind - und zwar aus dem einfachen Grund, dass zu viele Menschen zu lange schweigen müssten, damit eine Verschwörung geheim bleibt. Denn die Erfahrung zeigt - und genau das lässt sich mathematisch beweisen -, Menschen reden gerne, zu gerne, als dass Tatsachen von größerer Bedeutung lange Zeit geheim bleiben. Der Wissenschaftler zieht hierfür drei Verschwörungen aus der Vergangenheit heran, die aufgeflogen sind, bei denen das Geheimnis also gelüftet wurde:
- die Snowden-Aufdeckung 2013 über das umfassende Treiben der Geheimdienste über Jahre hinweg,
- den FBI-Forensik-Skandal von 1998, bei dem die Bundespolizei der USA offenbar Unschuldige in die Todeszelle gebracht hatte zum Nachweis von Verbrechen, und
- das Tuskegee-Syphilis-Experiment, bei dem 1972 publik wurde, dass die US-Gesundheitsbehörden in den 1940er Jahren Afro-Amerikaner mit Syphilis während eines Forschungsprojekts nicht mit Antibiotika handeln ließ, obwohl deren heilende Wirkung längst bekannt war.
Nach den mathematischen Berechnung von David Robert Grimes war es unumgänglich, dass alle drei Schwindel aufflogen, allerdings eben erst Jahre bzw. sogar erst Jahrzehnte später. Der Abhörskandal machte besonders deutlich, dass ein einziger Mensch - in diesem Fall Edward Snowden - ausreicht, um einen der Sache und dem Ausmaß nach im Grunde unfassbaren Skandal an die Öffentlichkeit zu bringen. David Robert Grimes wendete seine Formel auf andere gänge Verschwörungstheorien an, und gelangte damit zu interessanten Schlussfolgerungen. Beispiel: Mondlandung, also die Frage, ob die NASA 1969 wirklich zum ersten Mal Menschen auf den Mond schickte, oder ob das ganze in einem Fernsehstudie gedreht und die Menschheit für dumm verkauft wurde. Grimes`Berechnung: Angesichts von rund 411.000 Beschäftigten bei der NASA im Jahr 1969 hätte ein Schwindel um die Mondlandung spätestens nach drei Jahren und acht Monaten auffliegen müssen - getreu dem Grundsatz „einer plaudert immer“.
Klimawandel in drei Jahren und acht Monaten
Ähnlich beim Klimawandel, der durchaus verbreiteten Theorien nicht von Menschen verursacht wird, sondern nur von Wissenschaftlern erfunden wurde, um sich Forschungsgelder zu erschleichen. Hierbei geht David Robert Grimes von rund 405.000 „Mitwissern“ aus der Forschung aus mit demselben Resultat: Nach drei Jahren und acht Monate wäre die Sache aufgeflogen.
Unterzieht man zwei weitere verschwörerische Thesen der Grimes-Formel, ergibt sich ein ähnliches Bild: erstens, dass Impfungen mehr schaden als helfen, und zweitens, dass die Heilung für Krebst längst gefunden ist, aber zurückgehalten wird, um an den herkömmlichen Therapien weiter zu verdienen. In beiden Fällen geht der Verschwörungsforscher von über 700.000 involvierten Menschen aus und errechnet daraus einen Aufdeckungszeitraum von drei Jahren und zwei Monaten.
Einer plaudert immer
Den Grundgedanken „einer plaudert immer“, der der Anti-Verschwörungsformel zugrunde liegt, kann sicherlich jedermann nachvollziehen. Dennoch stellen sich gleich eine ganze Reihe von Fragen, die die Formel nicht beantwortet. Vielleicht am wichtigsten: Wie stark ist die Stimme desjenigen, der anfängt zu plaudern, und wird er gehört oder seinerseits als Verschwörungstheoretiker abgetan? Wie ist die Formel in Einklang damit zu bringen, dass die Aufdeckung bekannter Verschwörungen teilweise Jahrzehnte gedauert hat? Und was wäre gewesen, wenn Edward Snowden nicht ausgepackt hätte? Zudem arbeitete Snowden bereits ab 2005 für die CIA, spätestens ab 2007 hatte er aufgrund seiner Sicherheitseinstufung im großen Stil Zugang zu geheimem Material - aber erst 2013 enthüllte er sein Wissen.
Echolon - jahrzehntelang verborgen
Und wie erklärt sich Echolon? Seit den 1970er Jahren gab es Gerüchte über ein geheimes Spionagesystem. Die USA und mit ihr verbündete Staaten betreiben ein geheimes Satellitennetzwerk, das die ganze Welt abhört, lautete die Verschwörungstheorie. Am 5. September 2001 wurde durch eine Veröffentlichung der Europäischen Kommission klar: die Theorie stimmt, die Verschwörung existiert. Die National Security Agency (NSA) der USA, das Government Communications Headquarters (GCHQ) Großbritanniens, das kanadische Communications Security Establishment Canada, das australische Australian Signal Directorate und das Government Communications Security Bureau (GCSB) in Australien haben sich offenbar über Jahrzehnte hinweg verbündet, um ein geheimes weltweites Satellitennetzwerk zu errichten und zu betreiben mit nur einem Zweck: die Welt abzuhören. Die Wurzeln gehen bis auf den Zweiten Weltkrieg zurück. Der Öffentlichkeit bekannt gemacht wurde das Spionagesystem erstmals 1976 durch den NSA-Agenten Perry Fellwock, der unter dem Pseudonym Winslow Peck von der Verschwörung der fünf Staaten berichtete. Doch es blieb eine Verschwörungstheorie, bis das Europäische Parlament am 5. Juli 2000 beschloss einen Untersuchungsausschuss über das Abhörsystem Echelon einzusetzen. 2001 wurde ein 192 Seiten langer Bericht veröffentlicht, in dem die Existenz bestätigt und die Bedeutung und Auswirkungen dargelegt wurden. Wörtlich heißt es in dem EU-Bericht: „Der Echelon-Ausschuss stellt fest, dass es keinen Zweifel mehr an der Existenz eines globalen Kommunikationsabhörsystems geben kann, das von den USA, Großbritannien, Australien, Neuseeland und Kanada betrieben wird.“ Die Ziele von Echlong bewertete das Europäische Parlament wie folgt „Auch über die Zielsetzung des Systems, private und kommerzielle – und nicht-militärische – Kommunikation abzuhören, ist man sich einig. Der Ausschuss weist jedoch darauf hin, dass die technischen Kapazitäten des Systems nicht annähernd so weitreichend sind, wie von einigen Medien behauptet wurde […]. Der Ausschuss kommt zu dem Schluss, dass bei einer Verwendung des Systems ausschließlich für nachrichtendienstliche Zwecke kein Verstoß gegen EU-Recht besteht; wenn das System jedoch dazu missbraucht wird, sich Wettbewerbsvorteile zu verschaffen, steht dies in krassem Gegensatz zu der Verpflichtung der Mitgliedstaaten zu Loyalität mit dem Konzept des freien Wettbewerbs im Gemeinsamen Markt.“
Nachdenklichkeit ist gefragt
Ob Echolon oder Snowden-Enthüllungen - es macht auf jeden Fall nachdenklich, wenn derart weit verbreitete Abhör- und Spionagenetzwerke über Jahrzehnte hinweg im Verborgenen aufgebaut und betrieben werden können, ohne dass die Regierungen nicht beteiligter Länder davon Wind bekommen - von der interessierten Öffentlichkeit ganz zu schweigen. Das ist sicherlich kein Grund, jeder Verschwörungstheorie leichtfertig Glauben zu schenken. Aber es ist Vorsicht geboten, eine Verschwörungstheorie gleich deswegen abzutun, weil sie nicht von als seriös eingestuften Medien publiziert wird. Fünf Länder errichten im Verborgenen ein globales Satellitennetzwerk, mit dem sie über Jahrzehnte hinweg die ganze Welt bespítzeln - das klingt auch eher nach einer „Räuberpistole“ als nach einer glaubwürdigen Geschichte - bis es auffliegt. Es ist also aller Anti-Verschwörungsmathematik zum Trotz sehr wohl anzunehmen, dass sich unter den zahlreichen Verschwörungstheorien, die um die Welt geistern, auch einige wahre Geschichten befinden. Die Gretchenfrage ist nur, welcher davon wahr sind und bei welchen es sich um absurde Spinnerei handelt. Das gilt aktueller als je zuvor.
Corona-Verschwörungen
Die weltweit grassierende Coronavirus-Epidemie hat erwartungsgemäß gleich mehrere Verschwörungstheorien geboren.
So soli der verheerende Virus aus einem Labor in Wuhan ausgebrochen sein. Tatsächlich gibt es in der chinesischen Großstadt ein nationales Labor für Biosicherheit mit Sicherheitsstufe 4 . Dort darf mit Viren höchster Gefährungsstufe für Menschen gearbeitet werden. Dazu gehören Ebola, Sars und eben auch Corona.
Eine andere Theorie gibt Bill Gates die Schuld. Tatsächlich unterstützt die Bill-und-Melina-Gates-Stiftung das englische Pirbright-Institut, das Patente am Coronavirus hält.
Dies hat über die Person Bill Gates hinaus zu der Annahme geführt, dass Coronaviren bewusst gezüchtet und in China verteilt wurden, um mit einem Impfstoff immense Gewinne abzuschöpfen. Tatsächlich gibt es Patente auf Gensequenzen von Viren, die dem derzeitigen Coronavirus stark ähneln.
Mag man insbesondere dem Laborausbruch noch eine gewisse Glaubwürdigkeit einräumen, scheint eine weitere Theorie eher aberwitzig: Die Handystrahlung ist schuld. Also am besten: Smartphone entsorgen, um sich zu schützen.
Die Verschwörungstheorien, aber natürlich auch die tatsächliche Ausbreitung des Virus, führen zu Hamsterkäufen. Jetzt zeigen die Horrorstreifen über Pandemien, die Hollywood schon vor Jahrzehnten produziert hat, Wirkung. Die Menschen erinnern sich der real wirkenden Bilder aus den Filmen und entwickeln die Angst, dass sie zur Realität werden könnten.