Thought Leadership
Apple und Google wollen das gewaltigste Personenverfolgungssystem in Betrieb nehmen, das die Welt je gesehen hat: Es umspannt rund 3 Milliarden Menschen, also etwa ein Drittel der Weltbevölkerung. Zur Pandemiebekämpfung haben sich die beiden Erzrivalen darauf verständigt, alle iPhones und alle Android-Smartphones, ältere wie neue Geräte, mit einer Software zu versehen, die merkt, wenn sich zwei Personen nahe kommen. Als Technologie kommt Bluetooth zum Einsatz, ein Übertragungsverfahren, das beispielsweise zur Verbindung drahtloser Kopfhörer dient. In Kürze gibt es hierfür eine völlig neue Verwendung und die funktioniert so: Auf das Virus positiv getestete Personen - also Infizierte - erhalten in ihrem Smartphone eine Art Markierung. Daraufhin ist das Apple/Google-System in der Lage, alle Kontaktpersonen des Markierten in der Vergangenheit und in der Zukunft zu identifizieren. Das Argument in der Pandemie: So können Infektionsketten automatisch und lückenlos verfolgt werden. Und: Das eigene Smartphone kann Alarm schlagen, sobald man sich einer infizierten Person nähert. Die Überwachung erhöht also die eigene Sicherheit und hilft zugleich bei der Bekämpfung der Pandemie.
Ausgerechnet Apple und Google
Doch werden Apple und Google das System nach Beendigung der Pandemie wieder abschalten? Wohl eher nicht! Denn obgleich beide Konzerne nicht müde werden, die Freiwilligkeit der Teilnahme am Überwachungsprogramm zu betonen, bauen sie die neue Technologie fest verankert in ihre Betriebssysteme ein, so dass sie dauerhaft in allen Geräten. Für eine freiwillige temporäre Maßnahme wäre es völlig ausreichend gewesen, eine gemeinsame App zum Download anzubieten. Wer teilnehmen möchte, lädt sich die App herunter. Doch das war den beiden Digitalgiganten offenbar zu wenig: Sie nutzten die Gunst der Lage, um eine dauerhafte Kontaktüberwachung (Contact-Tracing) für ein Drittel der Menschheit in ihren Geräte zu implementieren.
Man muss ich klar machen: Die Kontaktkontrolle findet in denselben Geräten statt, deren genauer Standort mittels GPS jederzeit feststellbar ist und in denen die meisten von uns alle ihre persönlichen Kontakte, ihre Bilder, ihre Passworte und immer häufiger auch ihre gesundheitlichen Vitalwerte etwa im Zusammenhang mit einer Smartwatch gespeichert haben. Für die meisten Menschen ist ihr Smartphone im Grunde eine Konzentration ihres gesamten Lebens. Hinzu kommt: Apple und vor allem Google sammeln seit mehr als 20 Jahren so viele Informationen über so viele Menschen wie möglich, und sie speichern alle Daten, derer sie habhaft werden. Die Kontaktverfolgung reiht sich also in ein ohnehin schon prall gefülltes Dossier über Milliarden von Menschen ein.
EU-Konzept vs. US-Konzerne
Dem US-amerikanischen Vorstoß begegnet Europa mit dem Projekt PEPP-PT, an dem das Diplomatic Council mitarbeitet. Das Kürzel steht für Pan-European Privacy-Preserving Proximity Tracing. Im Kern geht es um das gleiche Konzept: Mittels Bluetooth-Technologie soll die Überwachung von Kontaktketten verwirklicht werden. Indes stellt der europäische Ansatz die strenge Einhaltung des Datenschutzes und die Gewährleistung der Privatsphäre in den Mittelpunkt. Zudem bietet Pepp-PT lediglich eine Technologiebasis an und überlässt die Entscheidungsgewalt über den Einsatz, die konkrete Ausgestaltung der Nutzung und vor allem der Daten vollständig und uneingeschränkt den Regierungsstellen derjenigen Staaten, die sich für Pepp-PT entscheiden. Während Apple und Google ein Ökosystem der Überwachung aufbauen, zu dem sie über von den Konzernen festgelegte Schnittstellen teilweise Zugang gewähren, setzt Pepp-PT auf eine offene Technologieplattform, um den Ländern zu ermöglichen, ihrer Bevölkerung selbst eine Anti-Corona-App zur Verfügung zu stellen.
Der Unterschied liegt in den Hierarchien:
Apple und Google: Die grundlegenden Regeln bestimmen vor allem Apple und Google, denn sie haben das System entwickelt und in den Geräten installiert (erste Stufe). Darauf aufbauend können die Staaten ihre Entscheidungen treffen (zweite Stufe). Die Bevölkerung kann diese Regeln akzeptieren (dritte Stufe) oder sich wehren, indem sie die Funktionen deaktiviert (sofern möglich) bzw. das Smartphone einfach zu Hause lässt (sofern erlaubt). Es ist davon auszugehen, dass Apple und vor allem Goole alle mit der Kontaktverfolgung erfassten Informationen mit ihren bereits vorhandenen Datenbeständen verknüpfen und dauerhaft speichern (vier Stufe, die Zeit nach der Pandemie).
Pepp-PT: Allein die Regierungen treffen alle Entscheidungen über die Art und den Umfang des Einsatzes (erste Stufe). Sie können für den Aufbau einer Corona-App-Infrastruktur auf die Ressourcen von Pepp-PT zugreifen (zweite Stufe). Der Umgang mit der Bevölkerung obliegt ebenfalls alleinig der jeweiligen Regierung (dritte Stufe). Pepp-PT arbeitet so daten-sparsam wie möglich; die Kontaktverfolgungsinformationen werden im Gerät des Nutzers gespeichert. Nicht mehr benötigte Daten werden von der App selbstständig gelöscht. Nur im Fall einer mutmaßlichen Infektion erfolgt eine Datenübertragung an einen Server zur weiteren Analyse und gegebenenfalls Information des Betroffenen. Pepp-PT ist eine Not-for-Profit-Organsation und verfolgt über die Hilfe in der Pandemie hinaus keine weiteren Ziele, so dass es keinen Grund gibt, in der Krise erfasste Daten über die Pandemie hinaus zu speichern oder zu nutzen. Es obliegt den Staaten bzw. ihren Regierungen zu entscheiden, wie sie mit den erlangten Informationen umgehen.
Beim Ansatz von Apple und Google liegt die Entscheidungsgewalt also größtenteils in den Händen der beiden US-amerikanischen Digitalkonzerne. Bei Pepp-PT liegt die Entscheidungsbefugnis in den Händen demokratisch gewählter Regierungen.
Doch man muss wohl arg naiv sein, um zu glauben, dass die lückenlose Kontaktüberwachung nach der Pandemie auf bloßer Freiwilligkeit basiert oder gar vollständig abgeschaltet wird. Denn natürlich sind Kontaktketten auch bei aller Art von Verbrechensbekämpfung von hoher Bedeutung für Strafverfolgungsbehörden. Doch in diesen Situationen greift hoffentlich der Rechtsstaat und erlaubt die Kontaktüberwachung nur auf richterliche Anordnungen hin, wie es auch bei anderen Überwachungsmaßnahmen der Fall ist. Es macht einen gewaltigen Unterschied, ob das Rechtssystem eines demokratischen Staates oder das Gewinnstreben eines Unternehmen den Rahmen für die Überwachung setzt!
Datenkrake Google
Google steht wie kein anderer Konzern für eine globale Datensammelwut beinahe unvorstellbaren Ausmaßes. Seit der Gründung 1998 ist Google mit einem einfachen Konzept zum Milliardenkonzern gewachsen: Das Unternehmen sammelt alle Daten über seine Nutzer, derer es habhaft wird, und verkauft diese Daten oder Analysen auf Grundlage dieser Daten an Firmen, die damit Werbung betreiben. Experten sprechen von Target Marketing, also zielgerichtetem Verkauf. Je genauer eine werbetreibende Firma ihre potenziellen Kunden kennt, desto gezielter kann sie ihre Anzeige platzieren und desto höher sind die Verkaufschancen. Befreit von ernsthaften Datenschutzzwängen sammelt Google beinahe seit Beginn des Internetzeitalters fast alles. Was sich viele Mensch nicht klar machen: Jedes Wort, dass irgendwer irgendwo auf der Welt in die Datensuchmaschine Google eingibt, wird gespeichert, analysiert und für Werbezwecke verwendet.
Überlegen Sie sich einmal, was Sie über die Jahre hinweg im Internet gesucht haben und machen Sie sich klar, was das über Sie aussagt: Hobbys, Reisen, Gesundheit, Kleidung, Lebensumstände, Geschäft, Amüsement und natürlich auch wirklich Privates. Es klingt übertrieben, ist es in der Regel aber nicht: Google weiß mehr über die meisten Personen als der eigene Ehe- oder Lebenspartner. Wer sich vor Prostata- oder Brustkrebs fürchtet oder über eine Scheidung nachdenkt, informiert Google vermutlich unabsichtlich eher über seinen Gemütszustand als den eigenen Partner, um nur wenige Beispiele zu nennen. „Wir wissen mehr oder weniger, woran Sie denken“, schwärmte Eric Schmidt schon 2015. Der Mann sollte es wissen, er ist Aufsichtsratsvorsitzender des 2015 gegründeten Google-Mutterunternehmens Alphabet.
Fazit: In der aktuellen Lage besteht bei der Virus-Eindämmung die Alternative zwischen einem US-amerikanischen Apple/Google-Ansatz und einem in Deutschland entwickelten pan-europäischen Konzept, das die Regierungen voranstellt. Beide Optionen rufen bei vielen Menschen Gedanken an „Big Brother is Watching You“ hervor, und in der Tat ist diese Gefahr sicherlich nicht zu leugnen. Doch die gelegentlich dargestellte dritte Option „Wir lassen dem Virus einfach seinen freien Lauf“ stellt angesichts von mehr als 150.000 Toten keine Option dar.
Buch zum Thema im Diplomatic Council Verlag
Im Verlag des Diplomatic Council ist ein Buch mit dem Titel „Stasi 2.0“ erschienen, dass die Gefahren digitaler Überwachungssysteme deutlich aufzeigt. Wie in vielen Fällen ist es eine Güterabwägung - nicht nur zwischen Freiheit und Sicherheit, wie häufig kolportiert wird - sondern seien wir ehrlich, es ist in der Regel unsere eigene Bequemlichkeit, die uns zu einem eher laschen Umgang mit unserer eigenen Privatspähre ermutigt. Niemand zwingt uns, Google zu nutzen, Alexa ins Haus zu holen, eine Smartwatch zu tragen oder unseren Meinungen auf Facebook mehr oder minder freien Lauf zu lassen. Bevor wir den Staat in die Pflicht nehmen, sparsam mit unseren persönlichen Daten umzugehen, ist es sicherlich angeraten, sich diese „Pflicht“ auch selbst aufzuerlegen.