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Der Gedanke einer Staatengemeinschaft ist nicht neu. Der Begriff „Völkerrecht“ findet erstmals 1625 in dem Buch „Über das Recht des Krieges und des Friedens“ des niederländischen Rechtsgelehrten Hugo Grotius Erwähnung. Der Philosoph Immanuel Kant beschrieb 1795 in seinem Buch „Zum ewigen Frieden“ ausführlich die Idee einer „durchgängig friedlichen Gemeinschaft der Völker“. Die Aufklärung brachte im 19. Jahrhundert eine erste internationale Friedensbewegung hervor, die zu den Haager Friedenskonferenzen 1899 und 1907 führte. Ziel war die Entwicklung von Grundsätzen für die friedliche Regelung internationaler Konflikte. Die Idee dahinter ist großartig: die Abschaffung des Krieges als Mittel der Auseinandersetzung zwischen Völkern und stattdessen die Etablierung eines Rechtsweges zur Lösung von Konflikten. Es ist damals nicht gelungen, es ist mit dem Völkerbund nicht gelungen und mit heute rund 20 Kriegen jährlich lässt sich schwerlich argumentieren, dass die UNO erfolgreicher sei. Aber bei aller Kritik sollte man einen Moment innehalten, um die Großartigkeit des Gedankens „Rechtsweg statt Krieg“ zu würdigen, der allen diesen Bemühungen mehr oder minder zugrunde liegt.
Die Anfänge: Haager Friedenskonferenz
Auf der ersten Haager Friedenskonferenz 1899 kamen 26 Staaten zusammen, auf der zweiten Konferenz 1907 immerhin 44 Länder, um eine internationale Rechtsordnung zu erarbeiten. Man einigte sich auf die Einrichtung eines Schiedsgerichtshof in Den Haag, konnte jedoch keine Verbindlichkeit der Gerichtsurteile der neu zu schaffenden Institution festlegen. Schon damals trat die Kernfrage zutage, wieviel Souveränität die Staaten aufgeben wollen, um sich einer Art „supra-nationaler Weltordnung“ zu unterwerfen. Auch die Möglichkeiten zur Durchsetzung von Gerichtsurteilen wurde bereits erörtert, also die Frage nach einer internationalen Exekutive, wie sie heute die „Blauhelme“ der UNO darstellen.
Damals sollte die Festlegung der Verbindlichkeit auf einer für zunächst 1914, dann 1915, geplanten dritten Firedenskonferenz geschehen und wurde im Völkerbund als kollektive Sicherheit institutionalisiert.
Der heute zur UNO gehörende Internationale Gerichtshof (IGH) als höchstes Organ der Rechtsprechung basiert entscheidend auf den Ausarbeitungen der Haager Friedenskonferenzen.
Das Scheitern des Völkerbundes
Die Idee, eine weltweite Organisation zu schaffen, die als neutrale Plattform zur Verständigung der Staaten untereinander dient, wurde nach dem Ersten Weltkrieg wiederbelebt. Hierzu riefen die Siegermächte die Pariser Friedenskonferenz ein, auf dem der Versailler Vertrag unterzeichnet die Gründung des Völkerbundes beschlossen wurde.
Es lässt sich schwer bestreiten, dass der Versailler Friedensvertrag zumindest argumentativ maßgeblich zum Aufstieg Hitlers und damit zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs beitrug. Schon damals waren einfache Argumentationslinien gefragt: Der Versailler Vertrag knechtet Deutschland ungebührlich, die Bevölkerung leidet darunter, das lassen wir uns nicht gefallen, sondern wehren uns - so lässt sich der damals in Deutschland populäre Tenor gegen den Vertrag von Versailles zusammenfassen. Tatsächlich lassen sich Fakten dazu anführen: Deutschland musste Elsaß-Lothringen an Frankreich sowie Posen und Westpreußen an Polen abtreten, das Memelland kam unter französiche Kontrolle, das Hultschiner Länder ging an die neu gegründete Tschechowslowakei, das Saargebiet, Danzig und die deutschen Kolonien wurden dem Völkerbund unterstellt. Diese umfassenden Maßnahmen reichten einerseits offenbar nicht, um Deutschland dauerhaft klein zu halten, gaben andererseits aber den Nationalsozialsten gewichtige Argumente an die Hand, um sich gegen den „aufdiktierten Frieden“ zu wehren. Der französische Marschall Ferdinand Foch analysierte den Versailler Vertrag trefflich: „Das ist kein Frieden. Das ist ein 20jähriger Waffenstillstand.“
Konstruktionsfehler: Sieger und Besiegte
Es zeigte sich schon damals - wie später bei der der Gründung der Vereinten Nationen -, dass der Formung eines Bündnisses der Staaten nach einem Weltkrieg, bei dem es Sieger und Besiegte gibt, einen grundlegenden Konstruktionsfehler aufweist: Die Sieger diktieren die Bedingungen. Dieses Problem setzte sich bei der Gründung der Vereinten Nationen als Nachfolgeorganisation des Völkerbundes fort. Stark vereinfacht skizziert besteht die UNO aus dem Sicherheitsrat als Spiegel der damaligen Machtverhältnisse, einer flexiblen militärischen Eingreiftruppe unter der Führung des Sicherheitsrates, einer Gruppe von Unterorganisationen für praktisch alle Themengebiete der Menschheit, einem allumfassenden Netzwerk von Hilfsorganisationen und einer darum herum errichteten gigantischen Bürokratie.
Zurück zum Völkerbund: Als Ergebnis der Pariser Friedenskonferenz nach dem Ersten Weltkrieg und basierend auf einem „14-Punkte-Programm“ des US-amerikanische Präsident Woodrow Wilson nahm der Völkerbund mit Sitz in Genf am 10. Januar 1920 seine Arbeit auf. Die Zielsetzung war damals schon ebenso hochtrabend wie später bei der UNO: dauerhafter Frieden durch ein System der kollektiven Sicherheit, internationale Abrüstung und die Beilegung eventueller Streitigkeiten zwischen den Staaten durch ein Schiedsgericht.
Im Gegensatz zur UNO sah die Satzung des Völkerbundes eine Verpflichtung aller Mitgliedstaaten vor, im Falle eines kriegerischen Angriffs eines Landes gegen einen Mitgliedsstaat „sofort und direkt“ militärische Hilfe zu leisten. Getreu dem Grundsatz „wehret den Anfängen“ sollte damit einer Verzögerung durch die Beratung in Gremien vorgebeugt werden. Im Ernstfall hielt sich allerdings kein Mitgliedsland an diese unverbindliche Vorgabe, sondern taktierte nach eigenem Gutdünken. Konsequenterweise wurde bei der späteren UNO-Gründung diese Verbindlichkeit abgesehen von Beschlüssen des UNO-Sicherheitsrates herausgenommen. Es hatte sich die Auffassung durchgesetzt, dass es besser ist, unverbindliche Erklärungen abzugeben als verbindliche, die aber nicht umgesetzt werden.
Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurde das Scheitern des Völkerbundes besiegelt. Am 18. April 1946 beschlossen die 34 noch verbliebenen Mitgliedsstaaten, den Völkerbund mit sofortiger Wirkung aufzulösen.
Doch die Idee ging nicht unter: Noch während der Zweite Weltkrieg tobt nahmen der US-amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt und der britische Premier Winston Churchill die Idee einer Weltorganisation zur Sicherung des Friedens wieder auf, die kurz nach dem Krieg in die Gründung der United Nations Organisation mündeten. Roosevelt starb allerdings am 12. April 1945 nach einer langen schweren Krankheit und konnte die Gründung der UNO am 24. Oktober 1945 nicht mehr mit erleben.
Die Anfänge der UNO
„Mr. chairman and delegates to the United Nations conference on international organisation: Oh what a great day this can be in history!” Mit diesen Worten eröffnete US-Präsident Harry S. Truman die Konferenz zur Gründung der Vereinten Nationen. Hierzu hatten sich am 24. April 1945 in San Francisco Diplomaten aus 50 Ländern zur Gründungskonferenz getroffen. Mit 850 Delegierten, Beratern und sonstigem Personal – insgesamt 3.500 Personen – galt sie als die bis dato größte internationale Konferenz ihrer Zeit. Es war mit zehn Vollversammlungen und knapp 400 Ausschusssitzungen und auf gut zwei Monate verteilt auch eine der längsten Konferenzen. Man kann also ohne weiteres sagen, dass die Wurzeln für die heutige Gigantomanie der Vereinten Nationen schon bei ihrer Gründung gelegt wurden.
Bürokratische Vorgehensweise
Ebenso wegweisend war die bürokratische Vorgehensweise in San Francisco. Zunächst bildete die Konferenz einen Lenkungsausschuss, der aus den Delegationsleitern aller beteiligten Länder bestand. Dieser Ausschuss erhielt die Aufgabe, in allen politischen Fragen und allen grundsätzlichen Angelegenheiten zu entscheiden. Selbst bei nur einem Vertreter pro Land ergab sich freilich mit 50 Personen eine Ausschussgröße, die für Detailfragen zu unübersichtlich ist. Folglich wurde aus den Delegationsleitern ein 14-köpfiger Vorstand gewählt, der Empfehlungen an den Lenkungsausschuss vorbereiten sollte.
Danach wurde der Entwurf der Charta in vier Abschnitte aufgeteilt, die jeweils von einer Kommission geprüft wurden. Die erste Kommission befasste sich mit den allgemeinen Zielen der Organisation, ihren Grundsätzen, der Mitgliedschaft, dem Sekretariat und mit der Frage der Chartaänderungen. Die zweite Kommission überprüfte die Vollmachten und Verantwortungen der Generalversammlung, während die dritte Kommission über den Sicherheitsrat beratschlagte. Die vierte Kommission erarbeitete einen Entwurf für die Satzung des Internationalen Gerichtshofs. Dabei blieb es natürlich nicht: die vier Kommissionen wurden nochmals in zwölf Fachausschüsse unterteilt. Wer heute behauptet, die UNO sei über die Jahre hinweg immer komplexer geworden, hat Recht und irrt dennoch: Die UNO war schon in ihren Anfängen kompliziert. Vielleicht ist das ihrer Mammutaufgabe – der Sicherung des Weltfriedens – geschuldet, vielleicht ist das aber auch ein Grund dafür, dass sie genau diese Aufgabe nur unzureichend erfüllt.
Ringen um die richtigen Worte
Schon damals zeichnete sich übrigens auch das Ringen um die richtigen Worte, die politisch korrekten Begriffe, ab. Sollte beispielsweise bei der Entlassung von Kolonien in die Freiheit die Übernahme einer Treuhandschaft durch die Vereinten Nationen dem betroffenen Staat „Unabhängigkeit“ (Independance) oder „Selbstverwaltung“ (Self-Government) bringen. Bereits damals galt: Wer das für unerheblich hielt, solange es den betroffenen Menschen die ersehnte Freiheit brachte, hatte die Rechnung ohne die Bürokraten gemacht. Das Ergebnis der Beratungen über diese spezifische Frage deutete wohl schon zur damaligen Zeit auf die Zukunft vieler UNO-Ergebnisse hin: Man einigte sich auf die Formulierung „Unabhängigkeit oder Selbstverwaltung“.
Die Kompetenzen des Internationalen Gerichtshofs verursachten eine umfangreiche Debatte. Die Konferenz beschloss, dass die Mitgliedstaaten nicht dazu verpflichtet würden, die Zuständigkeit des Gerichtshofs anzuerkennen, sondern dass sie ihre Zustimmung zur verbindlichen Rechtssprechung freiwillig geben. Diese Unverbindlichkeit, die den Vereinten Nationen später den Ruf eines „Papiertigers“ einbringt, ist also schon mit der Gründung angelegt. Der Vorwurf, dass sie in aufwändigen Abstimmungsprozessen und Sitzungsmarathons vor allem viel Papier produziere, das jedoch wenig Wirkung zeige, holt die UNO im Laufe ihres Bestehens immer und immer wieder ein. Abgesehen vom UNO-Sicherheitsrat stellen alle Resolutionen der Vereinten Nationen lediglich Empfehlungen dar, Richtlinien, an die sich die Staaten halten können oder auch nicht. Die Staaten können also leicht zustimmen, weil sie wissen, dass sie sich ohnehin nicht daran halten müssen.
Grundlage für eine bessere Welt
Dennoch dauerten schon die Gründungsverhandlungen lange. Erst am 26. Juni 1945, also gut zwei Monate nach Beginn der Konferenz, waren die Verhandlungen abgeschlossen und die Charta der Vereinten Nationen wurde von den 50 Gründungsstaaten feierlich unterzeichnet. US-Präsident Harry S. Truman sagte auf der Schlussversammlung: „Die Charta der Vereinten Nationen, die Sie soeben unterzeichnet haben, ist eine solide Grundlage, auf der wir eine bessere Welt errichten können. Die Geschichte wird Sie dafür ehren. Zwischen dem Sieg in Europa und dem letzten Sieg in diesem zerstörerischsten aller Kriege haben Sie einen Sieg gegen den Krieg selbst erzielt… Mit dieser Charta kann die Welt einer Zeit entgegenblicken, in der es allen würdigen Menschen offensteht, ein anständiges Leben als freie Menschen zu führen.“ Die Worte drücken die Hoffnungen der damaligen Zeit nach 50 Millionen Toten im Zweiten Weltkrieg aus. Ein solches Massaker sollte sich nie mehr wiederholen. Allerdings wies Truman darauf hin, dass es nicht nur auf die schönen Worte in der Charta ankäme, sondern vor allem auf die Umsetzung, also die Anwendung der Charta: „Wenn wir sie ungenutzt lassen, verraten wir all jene, die dafür gestorben sind, dass wir uns hier in Freiheit und Sicherheit versammeln können, um sie auszuarbeiten. Wenn wir versuchen, sie eigennützig, zum Vorteil eines Staates oder einer kleinen Gruppe von Staaten einzusetzen, machen wir uns ebenfalls des Verrats schuldig.“
Am 28. Juni 1945 kam Polen als 51. Gründungsstaat hinzu; das Land war zwei Tage zuvor nicht unterschriftsfähig, weil die Regierungsbildung noch nicht abgeschlossen war. Offiziell gibt es die UNO allerdings erst seit dem 24 Oktober 1945. An diesem Tag wurde die Urkunde auch von China, Frankreich, der Sowjetunion, dem Vereinigten Königreich, den USA und vielen anderen Ländern unterschrieben. Als Arbeitsgrundlage haben sich die UNO und ihrer Mitgliedstaaten die Charta der Vereinten Nationen geschaffen. In ihr sind die fundamentalen Prinzipien der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit sowie die Ziele und Aufgaben der Weltorganisation festgelegt. Aus der Charta ergab sich von Anfang an, dass sich die Vereinten Nationen nicht als Weltregierung verstehen. Sie erlassen dem entsprechend keine Gesetze, sondern lediglich Empfehlungen, die in der UNO-Sprache Resolutionen heißen. Die Resolutionen sind in der Regel moralisch-mahnend, aber letztlich unverbindlich. Dazu wurde lediglich eine Ausnahme festgelegt: Die Resolutionen des UNO-Sicherheitsrats sind grundsätzlich völkerrechtlich verbindlich.
Ausschliesslich Staaten erwünscht
Als Mitglieder in den Vereinten Nationen sind ausschließlich Staaten zugelassen. Nicht-staatliche Organisationen (Non-Govermental Organisations) wie beispielsweise das Diplomatic Council können sich in einem aufwändigen Akkreditierungsprozess mit einem Beobachtungs- und Beraterstatus bei der UNO akkreditieren, um Gehör zu finden. Die UNO verfügt über beinahe unzählige Haupt- und Nebenorgane, Sonderorganisationen und Programme, die ein äußerst komplexes Gebilde darstellen. In der internationalen Politik treten die Vereinten Nationen entweder als Forum – beispielsweise die Generalversammlung –, als Instrument – zum Beispiel für UNO-Mitgliedstaaten – oder auch selbst als Akteur – unter anderem in Form des UNO-Generalsekretärs – auf.
"Feindstaat Deutschland"
Es ist wohl nur eine Randnotiz wert, dass Deutschland von Anfang an und heute noch immer in der UNO-Charta als „Feindstaat“ geführt wird. In den Artikeln 53, 77 und 107 geht es um „alle Staaten, die mit einem der derzeitigen Unterzeichner dieser Charta während des Zweiten Weltkriegs im Kriegszustand waren“ – dazu gehört Deutschland. Jedes UNO-Land hat das Recht, in den unter diese Klausel fallenden Länder militärisch einzugreifen – auch ohne weiteres UNO-Mandat, allerdings nur im Falle einer „Wiederaufnahme der Angriffspolitik“. In der Praxis wird diese Feindstaatenklausel seit Jahrzehnten schlichtweg ignoriert. An Gültigkeit verloren hat sie dadurch allerdings nicht. Vielmehr steht sie beispielhaft dafür, wie reformbedürftig die Vereinten Nationen sind – nicht nur bei den Formulierungen in der Charta.