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Think Tank warnt vor Digitalem Landfriedensbruch in Europa

Internet in Europa abschalten wegen Rechtsunsicherheit?

Das Diplomatic Council, ein globaler Think Tank, der die UNO berät, warnt vor einer Ausweitung der Rechtsunsicherheit bei digitalen Diensten in Europa. Die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) habe weite Teile der europäischen Wirtschaft und des gesellschaftlichen Engagements in Vereinen zutiefst verunsichert. Der EU-Gesetzgeber sei gut beraten, bei der für nächstes Jahr geplanten ePrivacy-Verordnung ein ähnliches „Rechtschaos“ zu vermeiden. Mitgliedsfirmen des Diplomatic Council, die sich bereits mit Formulierungsänderungen zur ePrivacy-VO an den EU-Gesetzgeber gewandt hätten, hat die „Denkfabrik“ Unterstützung zugesagt.

Dazu gehört das Hamburger Unternehmen TeamDrive, dessen CEO Detlef Schmuck, erklärt: „Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Gesetzgeber bei der DSGVO die Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft nicht gut genug durchdacht hat. Verunsicherung und Angst beim normalen Bürger gilt es wirksam durch kluge Politik zu begegnen. Es wäre verheerend, bei der ePrivacy-VO in eine ähnliche Situation zu geraten.“

Mittelstand ist seiner Vertriebswege beraubt

Dr. Dorian Hartmuth, Direktor für Wirtschaftspolitik beim Diplomatic Council und Vorsitzender des Liberalen Mittelstands in Hessen, spricht von einem „digitalen Landfriedensbruch“. Er beklagt die Auswirkungen vor allem auf den Mittelstand: „Mit der DSGVO sind Millionen mittelständischer Unternehmer ihrer für Marketing und Vertrieb wichtigen Kontakte beraubt worden. Das jüngste Facebook-Urteil auf Betreiben einer deutschen Datenschutzbehörde stellt die Nutzung sozialer Medien für die Kundengewinnung an den Pranger. Warum schalten wir das Internet in Europa nicht einfach ab, wenn wir es aufgrund der vom Gesetzgeber geschaffenen Rechtsunsicherheit sowieso nicht nutzen können?“

Datenschutz im Dienste der Menschheit

Rechtsanwalt Dr. Thomas Lapp, als Chairman des Global IT Security Forum, im Diplomatic Council engagiert und Vorsitzender der Nationalen Initiative für Informations- und Internet-Sicherheit (NIFIS), erläutert: „Ein einheitlicher Rechtsrahmen für Datenschutz in der gesamten EU ist eine große Errungenschaft, die der Wirtschaft hilft. Fatal ist allerdings, dass kurz vor Wirksamwerden der Text geändert wurde und die E-Privacy-VO nicht zeitgleich wirksam wird. Umfangreiche Pflichten für Unternehmen mit wenig Nutzen für die betroffenen Personen, wie etwa die immer gleiche Information über die Rechte bei jedem Besuch einer Webseite und jedem Kontakt mit einem Unternehmen, dienen weder dem Schutz der Rechte natürlicher Personen noch dem Verständnis für den Datenschutz.“ Der Jurist verweist auf Erwägungsgrund 4 der DSGVO: „Die Verarbeitung personenbezogener Daten sollte im Dienste der Menschheit stehen.“ Für ebenso wichtig hält er Erwägungsgrund 13: „Das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts erfordert, dass der freie Verkehr personenbezogener Daten in der Union nicht aus Gründen des Schutzes natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten eingeschränkt oder verboten wird.“

Zukunft wird verspielt

Otto Schell, CEO des The Diplomatic Council Otto Schell Institute for Digital Transformation und Vorstandsmitglied der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe, erklärt: „Europa ist auf dem besten Weg, seine digitale Zukunft zu verspielen. Statt die digitale Entwicklung in Europa aktiv zu gestalten, scheint sich die europäische Politik darin zu gefallen, sie mit den falschen Mitteln zu verspielen – mit schwerwiegenden Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft.“

Digitale Revolution in Europa gefährdet

Dr. Michael Fuchs, Sonderbeauftragter CIO (Chief Information Officer) des Diplomatic Council, erläutert: „Datenschutz ist wichtig und richtig, das steht außer Frage. Außer Frage steht aber auch, dass wir in einer Zeit leben, in der Unternehmertum gefragt ist bzw. fehlende Disruption und Innovation als Damoklesschwert über unserer Wirtschaft schwebt. So gesehen kann es nicht sein, dass die IT und mit ihr Verantwortliche wie CIOs, CFOs und CEOs am Pranger stehen und mit drakonischen Strafen konfrontiert werden, nur weil sie versuchen, vorhandene Informationen zum Treiber neuer Geschäftsmodelle zu nutzen. Natürlich muss dabei vor Missbrauch geschützt werden, aber bitte auch vor unausgereiften Gesetzestexten, staatlicher Bürokratie und unlauteren Abmahnwellen. Andernfalls wird die digitale Revolution nicht in Europa stattfinden.“

Juristische Gefechte auf Kosten von Wirtschaft und Gesellschaft

Das Diplomatic Council fordert staatliche Datenschutzstellen und andere Behörden sowie Gerichte auf, keine juristischen Gefechte zur DSGVO oder zur ePrivacy-VO auf Kosten der Gesellschaft oder der Wirtschaft zu führen. Es sei unerträglich, wenn die Datenschutzstelle eines Bundeslandes den Betreiber einer Facebook-Seite vor Gericht ziehe und angesichts des EuGH-Urteils, das dem Seitenbetreiber eine Mitverantwortung am Datenschutzverhalten von Facebook zuschreibt, erkläre, es sei „spannend, wie das Bundesverwaltungsgericht weiter verfahren wird, das die Fragen an den EuGH gerichtet hat“. Geradezu unerträglich sei es, wenn dieselbe staatliche Datenschutzbehörde konsterniere, dass das Ergebnis „mehr Folgefragen stellt als Antworten gibt“. Die dadurch verursachte Rechtsunsicherheit führt nach Einschätzung des Diplomatic Council zu schweren Nachteilen der europäischen Unternehmen und deren Beschäftigten, die sich im globalen Wettbewerb zu anderen Kontinenten bei der Nutzung digitaler Medien befinden.

Rechtssicher – oder unsicher?

Die ePrivacy-Verordnung soll die Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation aus dem Jahre 2002 ersetzen, die zuletzt 2009 durch Regelungen zu Cookies erweitert wurde. Angesichts der massiven Ausbreitung von Over-The-Top-Kommunikationsdiensten (OTT-Dienste) wie Instant Messaging (Messenger, WhatsApp etc.) und Internet-Telefonie sieht der europäische Gesetzgeber die bisherige Regelung für klassische Kommunikation wie Festnetztelefonie als überholt an. Er hat angekündigt, mit der ePrivacy-VO die Rechtssicherheit auf diesem Gebiet zu erhöhen. Ob dies gelingt, bleibt abzuwarten – bei der DSGVO scheint die Rechtsunsicherheit das Bemühen des EU-Gesetzgebers zu konterkarieren, urteilt die „Denkfabrik“ mit Beraterstatus bei den Vereinten Nationen.